Und stehe auf von den Toten - Roman
seines Herzens. Noch nie hatte er den Herrn in seinem Leben verloren. Doch jetzt war es so gekommen. Prospero gab die Suche auf und wandte seinen Blick wieder den Mädchen zu. Eine von ihnen war möglicherweise Cäcilia, eine andere Francesca. Sie schwammen da draußen gemeinsam mit ihren Schwestern im Leid, weil sich jemand an ihnen vergangen hatte, weil derjenige meinte, er dürfe sich an den Menschen bedienen, frei nach seiner Laune, frei nach seinen perversen Bedürfnissen. Er hatte seine Macht demonstriert, kalt und erbarmungslos.
In diesem Moment wusste Prospero, dass er den Täter - ganz gleich, ob er ein Mensch oder ein Untoter war - vernichten musste. Koste es, was es wolle. Prospero Lambertini empfand das Arrangement vor sich als persönliche Kampfansage. Bitterkeit drang in sein Herz, eine Bitterkeit, wie er sie noch nie zuvor empfunden hatte.
»Hast du das gewollt, Gott?«, rief er hinauf in den Himmel, der auf einmal schrecklich weit weg war. Wozu gab es den Herrn, wenn er das zuließ? Wo hielt sich der gute Hirte
auf, als seinen Lämmern Gewalt angetan wurde? Warum griff Gott nicht ein? Ja, warum ließ er es zu, dass dieser Wolf seine Herde verheerte und mit den Wehrlosen blutigen Spott trieb? Er fand keine Antwort, so verzweifelt er auch danach forschte. Apathisch stierte er auf die Mädchen. In diesem Moment hasste er sogar Gott.
Als er sich schließlich von dem Anblick löste, war Prospero Lambertini ein anderer. Er schaute auf seine Hand, die aufgehört hatte, gegen die Balustrade zu schlagen. Sie blutete. In diesem Moment setzte der Regen erneut ein.
Ein letztes Mal blickte Prospero zum Himmel, dann lachte er bitter und voller Wut auf. Jetzt hatten sie ihre Leichen. Er fühlte, dass sich damit etwas fundamental veränderte. Zuallererst musste er die toten Körper bergen und sie untersuchen. Und obwohl sie längst verstorben auf dem Wasser trieben, hatten sie ihm sicher noch viel zu sagen. Er beschloss, ihnen zuzuhören. Sehr bald schon würde er wissen, ob die Mädchen Opfer eines Vampirs oder eines vom Teufel besessenen Menschen geworden waren.
34.
B ergen wir die Leichen«, sagte er mit hohler Stimme zu Giovanni,. Der Fischer hatte ein Stück abseits stumm gewartet, um Prospero Zeit zu geben, die schrecklichen Eindrücke zu verarbeiten. Prospero wusste das zu schätzen, doch jetzt galt es, so schnell als möglich zur Tat zu schreiten. »Wir müssen sie untersuchen. Ich hole Benjamin, trommele du die Fischer zusammen. Wir treffen uns an der Posterule Tiberine in der Via Giulia«
»Nahe der österreichischen Gesandtschaft?«
»Ja, unweit der Gesandtschaft.« Dann beschrieb er Giovanni den Weg zu Velloni und und zu Valenti Gonzaga und trug ihm auf, die beiden ebenfalls in die Via Giulia zu bitten.
Sie hatten sich gerade am Ende der Brücke getrennt, als Prospero einen stechenden Blick in seinem Nacken verspürte. Blitzschnell drehte er sich um. Durch den Regenvorhang konnte er die düstere Gestalt auf der Brücke eher erahnen als sehen. Sie erinnerte ihn an einen auf den Hinterläufen stehenden Wolf, bereit zum Sprung. Zeigte sich hier sein Gegner, stand ihm der Täter gegenüber? Prospero wollte gerade entschlossen auf die Erscheinung zugehen, als zwei Knechte zu dem unheimlichen Wesen traten. Sie hatten überlange Arme und schienen sich leicht gebückt zu halten, so dass sich ihm der Vergleich mit Pavianen aufdrängte. Die Gestalt wies mit dem Arm auf Prospero, als gäbe er seinen beiden Gehilfen Befehl, ihn zu fassen. Prospero wandte sich instinktiv zur Flucht. Er rannte die menschenleere Via Giulia entlang, bog ab und versuchte, seine Verfolger in den verwinkelten Gassen Regolas abzuschütteln.
Es war ungewiss, ob er im Palazzo della Cancelleria noch jemanden antreffen würde, deshalb beschloss er, Schutz bei Gioacchino zu suchen.
Mitten im Laufen durchschoss ihn der Gedanke, dass ihm weder Pepe noch Gioacchino mit allen seinen Söhnen helfen könnten, wenn es sich bei seinen Verfolgern um Vampire handeln sollte. Niemals durfte er diese Familie in Gefahr bringen. Er blieb stehen, unschlüssig, wohin er sich retten könnte.
Die Frage erledigte sich indes von selbst, denn vom anderen Ende der Gasse kam ihm einer der beiden Paviane entgegen. Er drehte sich um und entdeckte den zweiten hinter sich. Prospero machte sich damit Mut, dass man kein übernatürliches Wesen sein musste, um den Verlauf der Gassen zu kennen und ihm den Weg abzuschneiden. Aber dennoch wirkte jeder der beiden
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