Und trotzdem ist es Liebe
von Hosen war etwas, das Ben mir immer abgenommen hat. Bevor ich mit ihm zusammenwohnte, war der größte Teil meiner Garderobe über die Lehnen diverser Stühle drapiert. Und so ist es jetzt auch wieder.
«Probier’s an.» Jess deutet gebieterisch in Richtung Umkleideraum. Ich gehorche und denke mir, wenn sie wirklich einmal Kinder bekommt, wird sie zu den seltenen Müttern gehören, die niemals lange fackeln.
«Totale Zeitverschwendung», maule ich, aber ich glaube nicht, dass sie mich durch den stampfenden Remix von George Michaels «I Want Your Sex» gehört hat. Ich muss daran denken, wie Jess mal mit ein paar Kollegen in einer Karaoke-Bar war und sich dieses Stück aussuchte. Das nenne ich verwegen – sich mit einem Song auf die Bühne zu stellen, an dessen Ende du in einem Laden voll betrunkener Banker immer wieder schreien musst: Have sex with me! Aber bei Jess muss man mit so etwas rechnen.
Kurz darauf komme ich aus dem Umkleideraum und bin sicher, dass sich jetzt zeigen wird, wie recht ich hatte. Die Hose sieht schlabberig aus und fühlt sich auch so an, was schockierend ist, denn sie ist Größe 34, und ich trage meist 36. Aber ich weiß, dass ich seit der Scheidung abgenommen habe – mindestens zehn Pfund, wenn nicht mehr. Noch gestern Abend habe ich Jess erzählt, dass es zwei Arten von Frauen gibt: In Krisenzeiten fangen die einen an zu essen, und die anderen verlieren den Appetit. Die meisten gehören zur Vielfraß-Kategorie, und so ist es ein Segen, dass ich in das andere Lager gehöre.
«Die ist unglaublich», sagt Jess. «Ob du sie heute Abend trägst oder nicht – sie ist eindeutig ein Muss.»
«Ist sie nicht zu groß?» Ich zupfe am Bund herum und betrachte mich im Spiegel.
Jess schlägt meine Hand herunter und erklärt mir, dass die Hose tief auf den Hüften sitzen muss. «Außerdem sind enge weiße Hosen unmöglich. Sieht nach Ghetto aus. Enge schwarze Hosen sind was anderes, aber enge weiße … das ist echt Britney Spears», sagt Jess, um Daphne zu provozieren.
Es ist zwar ein Widerspruch zu ihrer konventionellen Hausfrauenseite, aber Daphne gehört zu jenen erwachsenen Frauen, die eine Vorliebe für alles Geschmacklose und Pubertäre haben. Sie hat das komplette DVD-Boxset von Dawson’s Creek . Auf der Fensterbank in ihrem Schlafzimmer stehen immer noch Stofftiere. Und sie bestellt sich die glitzernden Tanktops auf der Rückseite von US Weekly mit Aufschriften wie DIVA IN TRAINING. Infolgedessen ist sie auch ein Britney-Spears-Fan. Einmal war sie sogar auf der Rockefeller Plaza, weil ihr Teenie-Idol dort für die Today Show auftrat. Sie gehörte zu den ganz wenigen Frauen Ende zwanzig, die da abrockten, ohne eine Zehnjährige bei sich zu haben. Das Lustige war, dass ein paar Kids aus ihrer fünften Klasse sie am Morgen vor der Schule im Fernsehen entdeckten und zutiefst davon beeindruckt waren, dass ihre Lehrerin «Hit Me Baby One More Time» mitsingen konnte. Ich habe ihr gesagt, es sei ein bisschen so, als hätten wir unsere Lehrerin bei Soul Train oder Solid Gold tanzen sehen. Beeindruckend, aber auch ein wenig beunruhigend. Lehrer erstarrten schließlich abends im Klassenzimmer zu Eis, während wir nach Hause gingen, wo das Leben erst losging.
Jedenfalls sind Daphne und Jess sich darin einig, dass die weiße Hose fabelhaft aussieht, und Daphne ist sicher, dass sie den Saum nähen kann. Kein Problem. Auch das seidene Haltertop finden sie schmeichelhaft. Es bringt mein bisschen Oberweite zur Geltung und ist an genau den richtigen Stellen eng (im Einklang mit einer anderen Moderegel, die Jess vertritt: Ist die Hose weit, muss das Top eng sein – und umgekehrt). Und der fuchsienrote Bolero bringt den perfekten Schliff.
«Für den Fall, dass es kühl ist im Restaurant», sagt Jess.
«Oder für den Fall, dass bei Richard zu Hause die Heizung heruntergedreht ist …», kichert Daphne, während ich mich auf Zehenspitzen vor dem Spiegel drehe. Ich muss zugeben, ich sehe wirklich ziemlich gut aus. Und vor allem hat der Gedanke, dass unsere Einkaufstour schon zu Ende ist, einen beträchtlichen Reiz. Ich hasse shoppen. Wenn ich im Lotto gewonnen hätte, würde ich als Erstes einen persönlichen Shopper engagieren – für Lebensmittel, Kleidung, Weihnachtsgeschenke, alles. Also ziehe ich mich rasch wieder um, laufe zur Kasse und werfe meine Amex-Karte hin. Das Ensemble, das ich kaufe, wird mir garantiert Selbstvertrauen geben und Richard hinschmelzen lassen.
Am Abend erkenne ich
Weitere Kostenlose Bücher