Und trotzdem ist es Liebe
unwillkürlich das Gefühl, dass alle meine Befürchtungen über die Ehe sich bestätigt haben, als Ben und ich uns trennten. Ich weiß nicht genau, ob ich noch an dauerhafte Monogamie glaube, und auf alle Fälle habe ich nicht vor, es selbst noch einmal damit zu versuchen.
Deshalb brauche ich mich an keine Regeln zu halten. Wenn ich dachte, ich sei frei, als ich keine Kinder haben wollte, bin ich jetzt, da ich nicht mal mehr einen Ehemann haben will, erst recht frei. Statt die Spröde zu spielen oder mich besorgt zu fragen, wie ich auf andere wirke, kann ich alles tun, wozu ich Lust habe. Und in diesem Moment habe ich Lust, hemmungslos mit einem Kollegen zu flirten.
Im Laufe des Abends verfallen Richard und ich in einen entspannten Rhythmus aus Plaudern und Lachen, und wir machen uns übereinander lustig, wie man es nur kann, wenn man sich mit jemandem wohlfühlt und ihn sehr mag. Kein Thema ist tabu. Wir reden über Alltägliches, aber wir peppen es mit Schockeffekten und Humor auf. Wir reden über die Arbeit und über das Verlagsgeschäft im Allgemeinen. Wir reden über Reisen, Bücher, Musik und Familie. Wir reden über alte Beziehungen.
Als wir auf Ben zu sprechen kommen, rechne ich damit, dass ich ein bisschen traurig oder abwehrend reagieren werde, aber so ist es nicht. Ich merke, dass ich die Vergangenheitsform mit einem seltsamen Gefühl der Erleichterung akzeptiere: Ich spürte, er war, wir hatten . Dann schaue ich Richard in die Augen und sage: «Genug von alldem.»
Er nickt zustimmend. Ich kehre im Geiste in die Gegenwart zurück und bin froh, mit Richard hier zu sein, nach vorn zu blicken und weiterzugehen.
Vierzehn
Obwohl das erste Date mit Richard ein Erfolg ist und der Schlummertrunk danach in seinem Apartment ebenfalls (ich ziehe ihn damit auf, dass nur noch alte Männer das Wort «Schlummertrunk» benutzen), küssen wir uns bei diesem ersten Date nicht. Auch nicht beim zweiten. Ich weiß nicht, warum es so lange dauert – denn keiner von uns beiden, das weiß ich, spielt mit verdeckten Karten, und wir bemühen uns auch nicht sonderlich, züchtig und gesittet zu sein. Ich weiß außerdem, dass ich mich sehr zu Richard hingezogen fühle, und ich spüre, dass es umgekehrt genauso ist. Und ich bin hundertprozentig sicher, dass das Abwarten nichts mit Ben zu tun hat; ich weigere mich, über ihn nachzudenken.
Es gibt also nur eine Erklärung: Wir genießen beide die wachsende sexuelle Spannung und Faszination. Ich bin immer gern zur Arbeit gegangen, aber nie war das Büro ein so verlockender, verführerischer Spielplatz für mich. Ich bin jeden Tag sehr früh da und kann nicht erwarten, dass Richards erster Anruf kommt. Abends bleibe ich dann ziemlich lange, um die drei Stunden aufzuholen, die ich damit verbracht habe, E-Mails mit einem Mann zu wechseln, der zwei Etagen von mir entfernt sitzt. Wenn wir uns im Flur begegnen, grüßen wir uns förmlich, und sobald wir wieder an unserem Platz sind, mailen wir uns Sachen wie «Du siehst toll aus» … «Nein, du siehst toll aus.»
Infolgedessen ist es vermutlich ganz passend, dass wir uns im Büro zum ersten Mal küssen.
Es ist spät am Montagabend – kurz vor zehn –, und ich habe Richard eben eine Frage zu einem meiner Autoren gemailt. Während ich auf seine Antwort warte, steht er plötzlich in der Tür und gibt sie mir.
Ich mache einen Satz und sage: «Scheiße, Richard! Du hast mich erschreckt!»
Er sieht mich mit seinem üblichen Grinsen an und macht eine sarkastische Bemerkung über mein schlechtes Gewissen.
Ich schüttle den Kopf und lächle. Dann stehe ich auf und gehe zur Tür.
Er versperrt mir den Weg. «Wo willst du hin?»
Unsere Körper berühren sich – und dabei überläuft es mich heiß.
«Zum Kopierer», sage ich und will mich an ihm vorbeischieben.
Er lässt mich nicht vorbei. Er schiebt mich in mein Zimmer zurück und schließt die Tür.
«Was hast du denn jetzt vor?», frage ich, und ich weiß genau, was er jetzt vorhat.
Sein Gesicht kommt näher. Ich legte den Kopf nach rechts – mein bevorzugter Winkel beim Küssen. Im selben Moment legt auch er den Kopf nach rechts. Unsere Lippen berühren sich mühelos und sanft. Dann drängender. Im Handumdrehen verwandeln wir uns in zwei Filmstars, die es an einem verbotenen Ort miteinander treiben. Ich sehe mir zu, wie ich Richard küsse, und mir ist bewusst, wie gut wir aussehen müssen. Richard ist ein Mann, der jede Frau gut aussehen lässt.
Er schiebt mich rückwärts
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