Und trotzdem ist es Liebe
bis zu meinem Schreibtisch und hebt mich hinauf. Er tut es mit genau der richtigen Mischung aus Leidenschaft und Behutsamkeit. Seine Hände schieben sich unter meine nackten Schenkel. Ich bin froh, dass ich heute einen Rock trage. Und – halleluja! – passende Spitzenunterwäsche. Manchmal läuft es wirklich so, wie es soll. Ich nehme mir vor, mich an diese segensreiche kleine Fügung zu erinnern, wenn ich mich das nächste Mal über mein Pech beschwere, weil ich zum Beispiel im Flugzeug auf dem Mittelplatz zwischen zwei übergewichtigen Passagieren sitze.
Richard küsst mich immer weiter, meistens auf den Mund, aber auch auf den Hals und das Schlüsselbein. Der Mann ist ein Experte, und eigentlich habe ich keinen Zweifel, dass ich weiß, woher er seine Erfahrung hat. Ich denke an Lydia in der Graphikabteilung und an so viele andere Frauen vor mir. Ein paar kannte er aus dem Verlag, andere aus Bars oder Restaurants, von Blind Dates oder aus der U-Bahn. Aber sie sind mir alle egal. Es ist mir auch egal, wenn er sich zurzeit mit anderen Frauen trifft. Ich will nur, dass er mich weiter berührt, überall, genau hier unter den Leuchtstoffröhren.
«Kommst du mit zu mir?», haucht er mir ins Ohr.
Ich nicke. «Ja», flüstere ich, und er küsst weiter meinen Hals. Meine Hände liegen auf seinem Rücken, der sich kräftiger anfühlt, als ich dachte. Ich komme zu dem Schluss, dass achtundvierzig doch noch nicht sehr alt ist. Er drängt sich weiter an mich. Überhaupt nicht alt.
«Jetzt gleich?», fragt er.
«Ja», sage ich. «Aber zuerst musst du aufhören, mich zu küssen.»
Wir hören noch ein paarmal auf und fangen wieder an, bevor wir uns schließlich entwirren und atemlos einen Plan schmieden: Ich soll ein Taxi besorgen und auf ihn warten, während er seine Sachen aus seinem Büro holt. Wir küssen uns noch einmal. Dann öffnet er meine Zimmertür. Ich betrachte es als Sieg, dass niemand uns sieht außer Jimmy, dem Hausmeister. Er nickt grüßend. In Wahrheit ist es mir aber egal, wer über uns Bescheid weiß. Allmählich betrachte ich die Beziehung zu Richard als Auszeichnung, als äußeres Emblem meiner ausgeglichenen Mentalität, mit der ich mich an den Haaren aus dem Sumpf gezogen habe. Ich bin kein Opfer, keine verbitterte geschiedene Frau. Richard ist der Beweis.
Ich finde sofort ein Taxi und warte auf Richard. Einen Augenblick später springt er herein und schwingt seinen Aktenkoffer vor seine Füße. Im Taxi küssen wir uns nicht, aber wir berühren uns dauernd. Er sagt mehr als einmal, er könne es nicht erwarten, mit mir nach Hause zu kommen.
In seinem Apartment gehen wir geradewegs ins Schlafzimmer. Ich bin froh, dass er mich nicht fragt, ob ich etwas trinken möchte. Ich möchte nämlich nichts trinken. Ich bin froh, dass wir nicht auf der Couch sitzen und reden. Ich will nur noch in seinem Bett liegen und ihn berühren. Und zwei Minuten nachdem er die Wohnungstür verriegelt hat, liegen wir genau dort, und ich tue genau das.
Alles an Richard ist kühl und glatt – seine Bettwäsche, seine Musik (Sam Cooke), sogar sein Haustier, ein hochnäsiger Siamkater namens Rex, der uns von der Fensterbank aus verachtungsvoll beobachtet. Es gibt nur einen unbeholfenen Moment – den vorhersehbaren, als er innehält, mich ansieht und fragt: «Muss ich etwas holen?»
«Bist du … okay?» Ich denke an Lydia und das Bakterium, der sich auf ihren Namen reimt.
«O – ja. Ich bin total gesund.» Richard küsst die Innenseite meines linken Schenkels. «Aber … nimmst du die Pille?»
Ich hauche ein Ja.
«Ja, natürlich nimmst du sie», sagt er. Seine Worte bringen mich jäh zurück zu Ben und Babys, und unwillkürlich durchzuckt mich leise Sehnsucht. Aber ich sage mir, dass mein Exmann wahrscheinlich das Gleiche mit Tucker tut. Oder mit einer wie ihr. Ich sage mir, dass ich den Augenblick genießen soll. Ich sage mir, dass ich so viel lieber hier bei Richard bin, als dass ich ein Baby bekomme. Das ist keine Frage. Überhaupt keine Frage.
Wenige Augenblicke später schlafen Richard und ich miteinander.
«Du bist so gut», flüstert er irgendwann.
«Das sagst du zu allen», flüstere ich zurück.
«Nein», antwortet er. «Ich sage nur das, was ich denke.»
Ich lächle, denn ich glaube ihm. Richard redet nicht grundlos daher.
Wir kommen beide im Abstand von wenigen Sekunden, aber wir kuscheln danach nicht. Ich habe schon gespürt, dass Richard nicht der Kuscheltyp ist, und das ist mir recht. Auf das
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