Und trotzdem ist es Liebe
mit Anders, kam ich aus der Dusche und sah das rote Blinklicht an meinem Anrufbeantworter. Obwohl wir seit fast drei Monaten nicht mehr miteinander gesprochen hatten, wusste ich sofort, dass es Paul war – und näher war ich nie daran, Hellseherin zu sein. Ich drückte auf die Wiedergabetaste, und es war Paul. Betrunken erzählte er, wie sehr er hoffe, dass es mir gut gehe. Er sagte zwar nicht: «Ich vermisse dich wie verrückt, und ich wünschte, ich wäre mit dir nach New York gezogen», aber immerhin rief er mich an einem Freitagabend an, als er getrunken hatte – was ich dank Jess’ entschlossener Unterstützung niemals getan hatte. Ich hörte mir die Nachricht zweimal an und zwang mich dann, sie zu löschen, statt sie für weitere Analysen zu behalten. (Jess hat ein großes Talent dafür, zwischen den Zeilen zu lesen und betrunken auf den AB gesprochene Nachrichten und dergleichen zu interpretieren, vielleicht weil sie bis dahin selbst schon genug davon hinterlassen hatte. Aber wer neigt mit Anfang zwanzig nicht dazu, manchmal zu trinken und zu telefonieren?) Es gab mir einen ernsthaften Stich, als ich Pauls vertraute rauchige Stimme löschte, aber vor allem war ich stolz auf mich. Ich war eine ausgeglichene junge Großstadtbewohnerin und hatte ein Verhältnis mit einem langhaarigen Europäer mit einem Hammeraufschlag. Über meinen College-Boyfriend war ich total hinweg.
Meinem Image gemäß sorgte ich also dafür, dass Anders und ich an diesem Abend ordentlich einen draufmachten. Wir aßen im El Teddy’s, meinem Lieblingsmexikaner (inzwischen geschlossen) in Tribeca, und betranken uns mit Margaritas on the Rocks mit Salzrand, und ich fühlte mich mit jedem Schluck weltgewandter, denn auf dem College hatte ich nur Frozen Margaritas getrunken. Dann trafen wir uns mit Anders’ Freunden (hauptsächlich Tenniskollegen) und gingen zum Tanzen in einen Club in SoHo mit Samtkordel am Eingang. Anders war ein großartiger Tänzer, aber er nahm sich nicht besonders ernst; immer wieder verfiel er in ein wahnsinnig komisches, manisches «Running Man»-Gezappel. Ich brach dann vor Lachen zusammen und geriet in eine Hochstimmung, wie man sie nur nach wirklichem Elend erleben kann.
Und dann passierte etwas sehr Seltsames. Als wir in Anders’ Apartment zum zweiten Mal miteinander schliefen, dachte ich plötzlich an Pauls Message. Und scheinbar aus heiterem Himmel fing ich an zu weinen. Ich sagte mir, das liege nur an den Margaritas. Ich sei glücklich. Ich betete zum Himmel, dass der Augenblick bald vorbeigehen möge und dass meine Tränen in Anders’ dunklem Zimmer unbemerkt bleiben würden. Aber ich hatte Pech. Sekunden später erstarrte Anders auf mir. Sanft berührte er meine Wange. «Weinst du?», fragte er, und es klang eher entsetzt als besorgt. Ohne meine Antwort abzuwarten, richtete er sich auf, knipste das Licht an und sah mich angstvoll an. Es tue mir leid, sagte ich. Er umarmte mich und sagte: «Muss es nicht.» Dann stellte er mir Fragen: Was ich hätte, warum ich traurig sei, ob er etwas falsch gemacht habe. Ich sei nicht traurig, sagte ich, nur betrunken und müde. Er ließ nicht locker, und schließlich erzählte ich ihm von Paul, von den Veränderungen in unserer Beziehung und von seiner Weigerung, mit mir nach New York zu ziehen. Dass ich ihn immer noch manchmal vermisste, wenn ich bestimmte Musik hörte – das ganze typische Melodram nach einer beendeten Beziehung. Ich erzählte Anders sogar von Pauls Nachricht auf meinem Anrufbeantworter am Abend und dass ich sie gelöscht hatte, nachdem ich sie nur zweimal angehört hatte. Zwischendurch entschuldigte ich mich, und Anders war wirklich ein feiner Kerl. Es sei in Ordnung, sagte er, und weil ich darauf beharrte, erzählte er mir auch ein bisschen über seine vergangenen Beziehungen.
Natürlich war es mir peinlich, dass ich beim Sex geweint hatte, aber für mein Empfinden hatten Anders und ich zusammen eine Schwelle überschritten, und diese Nacht hatte plötzlich eine große, beinahe kathartische Bedeutung: Ich war endlich bereit, Paul hinter mir zu lassen. Am nächsten Morgen küsste Anders mich zum Abschied, und nichts deutete auf ein Problem hin. Ich ging nach Hause und erzählte Jess, ich hätte endlich das Gefühl, über Paul hinweg zu sein, und ich sei jetzt bereit, die Sache mit Anders auf die nächsthöhere Ebene zu heben. Das Dumme war nur: Anders sah es anscheinend nicht so wie ich, denn er rief mich nie wieder an. Natürlich rief ich ihn
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