Und trotzdem ist es Liebe
erinnert werden, was Ben wichtiger war als ich. Aber ich will auch durch nichts und niemanden an Ben erinnert werden. Punkt. Ich befürchte, dass Annie mir unaufgefordert alle Einzelheiten aus Bens neuem Leben erzählen würde. Lauter Einzelheiten, die ich überhaupt nicht hören möchte. Es sei denn, zu diesen Einzelheiten gehört, dass er solo und betrübt ist. Und das ist er ganz bestimmt nicht. Schließlich habe ich ihn mit Tucker schwatzen sehen. Vielleicht ist er nicht in sie verliebt, vielleicht ist er überhaupt nicht mehr mit ihr zusammen, aber wie ein gebrochener Mann hat er nicht ausgesehen.
Natürlich könnte ich Annie jederzeit sagen, ich möchte nichts über Ben hören, aber ich will auch nicht als die große Verliererin in dieser Beziehung dastehen. Es würde aussehen, als sei ich emotional sehr wacklig, wenn ich mich weigern würde, über das Wichtigste zu sprechen, was mir jemals passiert ist. Annie würde es Ray erzählen, und dieser wäre – als Mann – nicht vernünftig und taktvoll genug, es für sich zu behalten, sondern würde Ben stattdessen gleich brühwarm berichten, was für ein mitleiderregender Fall ich sei. Dazu kommt: Wenn Annie es auf meine Bitte hin unterlassen würde, Ben zu erwähnen, würde ich in ihr Schweigen sofort alles Mögliche hineinlesen. Am Ende würde ich dann denken: Ja, schön, ich habe Annie gesagt, ich will nicht über Ben sprechen. Aber wenn sie mir etwas zu erzählen hätte, das günstig für mich (und ungünstig für Ben) wäre, dann würde sie schon einen Weg finden, es in die Unterhaltung einfließen zu lassen – etwa so: Ich weiß, du willst nichts über Ben hören, aber jedes Mal, wenn wir ihn sehen, fragt er nach dir, und er scheint ohne dich verzweifelt und einsam zu sein.
Wie dem auch sei, diese Einladung zwingt mich, meine Karten auf den Tisch zu legen.
Ich weiß genau, was Jess sagen wird – und ich muss lachen, als sie von der Arbeit nach Hause kommt, einen Blick auf die Einladung wirft und es sagt. «Du musst hingehen. Du musst Richard mitnehmen. Und du musst wahnsinnig toll aussehen.» Ihre Augen leuchten zum ersten Mal seit dem Gespräch mit Trey – der sie übrigens nicht wieder angerufen hat, um ihr zu sagen, dass er es sich doch wieder anders überlegt hat, oder auch nur, um hallo zu sagen.
Unter keinen Umständen werde ich Richard einladen, erkläre ich.
«Warum nicht? Annie hätte bestimmt nichts dagegen.» «Das könnte ich Ben nicht antun. Richard übrigens auch nicht», sage ich. «Außerdem wäre es ziemlich durchsichtig. Geradezu erbärmlich.»
«Da bin ich anderer Meinung. Es würde nicht erbärmlich aussehen, sondern im Gegenteil so, als wäre Richard dein neuer Partner. Man bringt seinen Partner zu solchen Anlässen mit.»
«Er ist nicht mein Partner, und das weißt du.»
«Er ist es sozusagen.»
«Nein», sage ich. «Er ist es wirklich nicht.»
«Was ist er dann?»
«Er ist ein Mann, den ich mag. Ein Mann, mit dem ich einmal geschlafen habe.»
«Dann schlaf noch ein paarmal mit ihm und nimm ihn dann mit.»
Lachend schüttle ich den Kopf.
«Okay», sagt sie. «Aber es wird dir echt leidtun, dass du nicht auf mich gehört hast, wenn Ben jemanden mitbringt.»
Ich erstarre. «Glaubst du, das würde er tun?»
«Könnte doch sein.»
«Niemals. Nie im Leben.»
«Man soll niemals nie sagen.»
Das ist seit Jahren ihr Mantra, und ich glaube, so allmählich stimme ich ihr zu. In einer Beziehung gibt es nichts Absolutes. Nichts versteht sich von selbst. Man kann sich auf nichts verlassen – außer auf das Unerwartete. Schwierig wird es nur dann, wenn man anfängt zu glauben, man sei so etwas wie die Ausnahme von dieser Regel.
Ich greife zum Telefon und wähle Annies Nummer.
Sie meldet sich mit einem fröhlichen «Hallo, Fremde!».
Bevor ich es mir wieder ausreden kann, sage ich: «Hey, Annie. Ich habe eure Einladung bekommen, und ich bin auf jeden Fall dabei … Was dagegen, wenn ich jemanden mitbringe?»
Siebzehn
Ich habe leise Gewissensbisse, weil ich Richard benutze, um Ben eins auszuwischen. Oder weil ich Richard benutze, um vor Ben gut auszusehen. Oder weil ich Richard überhaupt benutze. Aber Jess gibt zu bedenken, dass ich ihn eigentlich überhaupt nicht benutze, denn jemanden ernsthaft gernzuhaben schließe den Gedanken aus, ihn zu «benutzen». Sie will wissen, ob ich Richard zur Taufe ihres Babys mitbringen würde, wenn sie eins bekäme. Ich bejahe so schnell wie möglich, denn ich will nicht, dass sie
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