Und verfluche ihre Sünden
notwendigerweise das Schlimmste bedeuten musste und sie sich keine Sorgen um ihre Kinder machen sollte, und alles, woran Hadley denken konnte, war, dass sie alle Brücken hinter ihnen abgebrochen hatte und dreitausend Meilen weit gereist war, und dass auf einmal ihr Großvater im Sterben lag und sie erneut allein sein würde. Ganz allein. Wieder.
III
»Lass die Jacke an. Wir fahren zum Abendessen zu deiner Schwester.«
Russ hielt vor den Kleiderhaken in der Küche seiner Mutter inne, die Jacke halb ausgezogen. »In Ordnung«, sagte er. »Aber mir ist nicht nach Gesellschaft.«
Margy Van Alstyne marschierte aus dem winzigen Esszimmer. Offensichtlich war Cousine Nane mit ihrer Heimdauerwellen-Ausrüstung hier gewesen – Margys weiße Haare waren zu so festen Löckchen gedreht, dass man vermutlich das gesamte North Country mit Strom versorgen konnte, wenn jemand herausfand, wie man die chemische Energie darin wandelte. Sie stemmte die Hände in die Hüften, was ihre Ähnlichkeit mit einem Hydranten noch verstärkte. »Familie hat nichts mit Gesellschaft zu tun.«
»Ich bin müde. Es war ein langer Tag. Grüß Janet von mir.« Er streifte die Jacke ab und hängte sie auf. Seine Mutter packte sie am Kragen und hielt sie ihm hin.
»Mom!«
»Du musst mich fahren. Es wird schon dunkel sein, wenn wir nach Hause kommen, und ich fahre nicht gern im Dunklen.«
»Seit wann?«
»Eine Frau von fünfundsiebzig Jahren hat das Recht, kleine Macken zu entwickeln. Also was jetzt, wirst du mich hinfahren, oder willst du in meinem Haus sitzen bleiben, essen, was ich gekocht habe, deine riesigen Füße auf meinem Sessel, während du in meinen Fernseher starrst?«
Er schaute wütend auf sie herab. »Du willst mir Schuldgefühle einflößen, damit ich dich fahre.«
»Da hast du verdammt recht. Funktioniert es?«
Er ergriff die Jacke. Er wohnte bei ihr, seit seine Frau gestorben war. Nein, schon länger. Er war bei seiner Mutter eingezogen, als Linda ihn aus dem Haus geworfen hatte. Damals hatte er geglaubt, ihre Trennung wäre nur vorübergehend. Zwei Wochen später war sie permanent und unwiderruflich geworden. Mit ihrem Tod. Ihrem dummen, sinnlosen, vermeidbaren Tod.
Er brachte es nicht fertig, wieder in ihr Haus zu ziehen, aber auch nicht, es zu verkaufen, und so lebte er in einem Schwebezustand, kaufte Lebensmittel, reparierte dies und das, bezahlte die Rechnungen seiner Mutter, wenn er sie vor ihr in die Finger bekam. Sie hatte ihn nicht gefragt, wie lange er bleiben wollte oder was er für die Zukunft plante. Sie ließ ihn vollkommen in Ruhe.
»Also gut.« Er rammte seinen Arm in den Jackenärmel. »Ich fahre dich hin. Und ich hole dich ab. Aber ich bleibe nicht zum Abendessen.«
»Das sehen wir dann.«
In seinem Pick-up plauderte sie über die Mädchen von Janet und Mike und über Cousine Nane und das letzte Treffen ihrer Kriegsgegnergruppe, die Women in Black. Er ließ ihr Geplauder an sich vorüberziehen, ebenso unbeachtet wie die abendliche Sonne, deren Strahlen durch Risse in den Wolken auf die schwachen grünen Spuren des Frühlings fielen, die zwischen dem graubraunen Filz des Winters auftauchten. Sämtlich Teile einer Welt, die sich weiterhin drehte und veränderte, und er wollte nichts damit zu tun haben.
Sie überholten einen riesigen Hummer, aufgemotzt bis zum Geht-nicht-mehr, aus dem ein Basslauf drang, der ihre Scheiben erzittern ließ. »Solche Autos gehören verboten«, nörgelte seine Mutter, und dann machte sie weiter mit Treibhausgasen und Blut für Öl und amerikanischem Anspruchsdenken. Immer dasselbe. In den Senken, in denen der Boden noch von Schnee bedeckt war, waberte kniehoch dichter weißer Nebel wie eine Horde Geister, die unfähig waren, die irdischen Fesseln zu sprengen.
Erst Gitarrenakkorde, die sich den Weg aus den Autolautsprechern bahnten, weckten seine Aufmerksamkeit. »Was machst du da?«, fragte er.
»Nun, da du mir offensichtlich nicht zuhörst, dachte ich, du hättest vielleicht gern Musik.«
Er streckte den Arm aus und schaltete den CD-Player ab. »Nein«, knurrte er. »Keine Musik.«
Seine Mutter sah ihn an. »Keine Musik?«
»Ich höre nicht gern Musik.«
»Seit wann?«
Seit mein Leben in die Binsen gegangen ist. Seit mich jeder verdammte Song an Clare erinnert. Er sagte ihr nicht, was ihm durch den Kopf ging. Er hatte große Übung darin, tagein, tagaus nicht zu sagen, was ihm durch den Kopf ging. Stattdessen antwortete er: »Ein Mann von fünfzig hat das Recht, kleine
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