Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und verfluche ihre Sünden

Und verfluche ihre Sünden

Titel: Und verfluche ihre Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spencer-Fleming Julia
Vom Netzwerk:
hölzernen Rolle, während er über den holprigen Boden zum nächsten Zaunpfahl ging. »Wir werden vor dem Mittagessen fertig und wieder zurück sein«, sagte er. »Und das hier ist für die Kühe besser als Stacheldraht.«
    Raul schilderte Amado detailliert, was er mit den Kühen machen konnte.
    »Oh, das würde ich«, erwiderte Amado. »Aber ich habe Angst, ihnen weh zu tun. Die Größe, weißt du?«
    Raul röhrte vor Lachen. Sie erreichten den Pfahl, und Amado knipste das Kabel durch, während Raul eine Isolierscheibe an das Holz schraubte und den Leitkopf anbrachte. Amado fädelte das Kabel hindurch, löste die einzelnen Drähte voneinander und schloss sie um den Leitkopf zusammen. Dann tat er dasselbe in umgekehrter Reihenfolge mit dem nächsten Kabelabschnitt.
    Amado band den schwarzen Isolierdraht ab, und sie sammelten ihre Sachen ein und zogen weiter. Dieser Teil des Besitzes wurde von einem rasch dahinfließenden Bach vom Berg getrennt, der sich an einigen Stellen so tief in die Felsen gegraben hatte, dass geradezu Schluchten entstanden waren: eine unwiderstehliche Versuchung, die im besten Fall verirrte und gefangene Kühe zur Folge hatte, im schlimmsten Fall gebrochene Beine und ertrunkene Kadaver. Amado nahm sich gern ein bisschen Zeit und zog auch hier einen sauberen und ordentlichen Zaun.
    »Denk an meine Worte, nächsten Monat schicken sie uns wieder her, damit wir uns durchs Wasser schleppen und Schläuche in den Bach schmeißen.«
    Amado, der das Kabel straff zog, grunzte. »Er teilt sich ungefähr einen Kilometer von hier. Ein Bach fließt zum Land der McGeochs. Dort können die Kühe saufen.«
    Raul starrte ihn an. »Woher weißt du das? Wir waren doch noch nie hier.«
    Amado wusste das, weil er den Wasserlauf in den letzten Wochen mehrere Male überquert hatte, um sich mit Isobel Christie auf einer hochgelegenen geschützten Weide zu treffen, die sich über Christies und McGeochs Land erstreckte. Nicht, dass er Raul das verraten würde. »Ich bin eines Abends dem Wasserlauf hinter unserer Baracke gefolgt. Ich war neugierig.«
    Raul schützte seine Augen mit der Hand vor den grellen Strahlen der Morgensonne, während er dem Lauf des Wassers folgte. »Du bist verrückt. Ich würde nicht aufstehen, wenn ich nichts dafür …« Er trat einen Schritt vor, dann noch einen.
    »Hey, du musst die Eimer mitnehmen.«
    »Was ist das?« Rauls Stimme klang verändert. Amado steckte seinen Seitenschneider in den Gürtel und ging zu der Stelle, an der der andere Mann stand, einen halben Meter von der brüchigen Kante des Einschnitts entfernt. Raul zeigte auf etwas. »Dort. Siehst du das?«
    Amado nickte. Es war eine seltsame Form, weich inmitten der scharfen Umrisse von Felsen, Bäumen und stachligem Farn. Weiß und rot vor dem Braun, Grau und Grün. Er bückte sich, hob einen Stein auf und schleuderte ihn mit aller Kraft auf das Ding. Eine Wolke zorniger Fliegen stieg auf. Etwas Totes.
    Rauls Lippen wurden strichdünn. »Eine Kuh?«
    »Ich glaube nicht.« Amado trat über die grasbewachsene Kante und nahm sich einen Moment Zeit, um einen festen Stand auf dem Boden zu finden.
    »Was machst du da?«
    »Ich will mir das mal ansehen.«
    »Vergiss es! Was auch immer es ist, es hat nichts mit uns zu tun! Lass es in Ruhe!«
    Amado ignorierte ihn und tastete sich für Schritt für Schritt den steilen welligen Abhang hinunter, blieb jedes Mal stehen, wenn zu viel Erde unter seinen Stiefeln wegbrach. Er erreichte das Wasser und ging ein paar Meter stromabwärts, bis er eine breite flache Stelle erreichte. Er watete genauso durch den Bach, wie er die Böschung hinabgestiegen war, langsam und vorsichtig.
    Stromabwärts und mit dem Wind konnte er es riechen. Er rümpfte unbewusst die Nase und wandte den Kopf ab, überwältigt von dem säuerlich-süßen Gestank der Verwesung.
    »Du bist wahnsinnig! Deinetwegen wird die Polizei kommen! Dann müssen wir uns wieder in den Wäldern verstecken!«
    Amado tauchte sein Halstuch ins Wasser und presste es an die Nase. Das half ein wenig. Er watete weiter zu einer Stelle, wo Büsche sich mit knotigen, halb sichtbaren Wurzeln, die wie Finger alter Männer aussahen, in die Böschung krallten.
    Er sah flache grüne Blätter und strahlenförmige Büschel winziger weißer Blumen. Er sah die fahlen Schösslinge der Birken im Gebirgswind zittern. Er sah das tote Ding. Er sah die aufgeplatzte Haut, die weißen Knochen und das graue Hirn. Er sah die Stelle, an der ein Tier die Kleidung

Weitere Kostenlose Bücher