Und verfluche ihre Sünden
soll?«
Clare blickte zum Kamin, das Beste an ihrem Neunzehntes-Jahrhundert-Büro. An kalten Wintertagen konnte sie sich vor seiner Ziegel-und Eiseneinfassung wärmen. Darin lag eine Metapher für ihr Leben, aber sie war zu erschöpft, um weiter darüber nachzudenken. »Ich glaube nicht, Mr. Hadley. Ich breche bald zu einem ökumenischen Lunch in Saratoga auf.«
»Gut, aber ich bringe Ihnen noch ein bisschen Holz. Soll diese Woche kälter als im – Sie wissen schon, was – eines norwegischen Brunnenbauers werden.« Er zog sich zurück, den Duft nach Zitrone und Tabak hinterlassend, der seinen Abgang begleitete. Sie hörte, wie er jemanden im Flur begrüßte – »Hallo, Father« –, und war deshalb nicht überrascht, als ihre Verabredung zum Mittagessen eine halbe Stunde zu früh in der Tür stand, groß und hager und vorgebeugt wie ein pedantischer Geier.
»Father Aberforth.« Sie erhob sich vom Schreibtisch, um den alten Diakon zu begrüßen, der allgemein als Auftragskiller des Bischofs bekannt war.
»Ms. Fergusson.« Sie war überrascht, als er ihre Hand in seinen viel größeren Händen festhielt. Er musterte sie mit seinen durchdringenden schwarzen Augen. »Wie geht es Ihnen?«, erkundigte er sich. Es war keine Floskel.
»Verzeihen Sie, haben wir heute eine Sitzung?« Der Diakon der Diözese war in die Rolle ihres Beraters und Beichtvaters gerutscht. Es war keine einfache Beziehung. Ihre Gespräche waren wie brühheiße Duschen: reinigend, aber schmerzhaft.
»Sarkasmus steht Ihnen nicht. Wie geht es Ihnen?«
Sie senkte den Blick auf das Ranken-und Früchte-Muster des Teppichs. »Na schön. Einigermaßen.«
Er ließ zu, dass sie ihre Hand befreite. »Einigermaßen, hm?« Er ließ seinen turmhohen Körper in einen der Admiralssessel vor dem kalten Kamin sinken. »Ich nehme an, es ist immer eine Erleichterung, wenn man weiß, dass man nicht vor Gericht gezerrt und wegen Totschlags angeklagt wird.« Willard Aberforth war stets äußerst unverblümt.
Sie ging zurück zu ihrem Schreibtisch. Der Brief des Staatsanwalts des Staates New York lag noch immer dort, halb verdeckt von dem Entwurf der Predigt.
Nach Anhörung der Beweise im Fall des Todes von Aaron MacEntyre hat die Grand Jury darauf verzichtet, Anklage zu erheben. Deshalb beurteilt der Staat New York im Einklang mit der Aussage des Leichenbeschauers Ihre Mitwirkung an den Ereignissen, die zu besagtem Tod führten, als Notwehr im Sinne des Strafgesetzbuches des Staates New York, Abschnitt II, S. 1–12.
»Oh, ja«, sagte sie. »Ich bin gerade noch so davongekommen.« Sie konnte die Verbitterung in ihrer Stimme hören.
»Sie haben richtig gehandelt, Mädchen. Ich weiß es, der Bischof weiß es, und der Staat New York in seiner richterlichen Weisheit weiß es auch. Denken Sie nicht mehr daran. Sie haben drei Leben gerettet. Vielleicht mehr.« Er hielt inne. »Haben Sie etwas von Ihrem Polizeichef gehört?«
»Nein.« Ihr Ton hätte einen weniger mutigen Mann abgeschreckt, aber der Diakon, ein Überlebender der Schlacht um den Changjin-Stausee, war nicht aufzuhalten.
»Er ist jetzt Witwer«, sagte er.
»Ja.«
»Trauer braucht ihre Zeit.«
»Ja.«
»Vielleicht sollten Sie in ein oder zwei Monaten auf ihn zugehen.«
Sie faltete die Hände über der Rückenlehne ihres Stuhls und sah zu, wie die Knöchel weiß wurden. »Er wird nicht wollen, dass ich in ein oder zwei Monaten auf ihn zugehe – oder vier. Ich bin der Grund, warum seine Frau tot ist.«
Ein weiteres Schweigen. »Hätten Sie die Güte, sich zu mir umzudrehen, damit ich nicht mit Ihren Schultern sprechen muss?«
Sie drehte sich um.
Aberforth betrachtete sie aus halbgeschlossenen Augen. »Glauben Sie das wirklich?«
»Ja.«
Er schüttelte den Kopf so heftig, dass seine Bluthundwangen in Bewegung gerieten. »Gütiger Himmel, Mädchen, Ihr Stolz ist wirklich monumental.«
»Mein Stolz? «
»Ihr Stolz. Haben Sie beim Erzbischof die volle Beichte abgelegt und Reue bezeugt oder nicht?« Er verschränkte seine Arme.
»Das wissen Sie doch.«
»Hat er Sie im Namen des Herrn von Ihren Sünden losgesprochen?«
Sie wusste, wohin das führte, und es gefiel ihr nicht. »Hat er.«
»Wer sind Sie dann, anzunehmen, dass Ihre Fehler, Ihre Fehlurteile und Ihre Irrtümer so schwer wiegen, dass Gott selbst davon betroffen wäre? Glauben Sie wirklich, dass Ihre Fähigkeit, zu sündigen, Gottes Fähigkeit, zu vergeben, übertrifft?«
Sie zwinkerte heftig. Sie schüttelte den Kopf. »Ich
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