Und verfluche ihre Sünden
behielt recht. Kevin öffnete das Tor, diesmal langsam und leise, ohne die Zufahrt aus den Augen zu lassen, aber es ließen sich keine beutegierigen Hunde blicken, die ihn in Stücke reißen wollten. Der Himmel über ihnen verfärbte sich rosa und perlweiß, und Grashüpfer schwirrten durch das Grün, als sie den Feldweg entlangholperten.
Russ parkte an derselben Stelle wie zwei Wochen zuvor. Diesmal konnte er erkennen, wie dringend Haus und Stallungen einen Anstrich benötigten. Die Christies hatten ein großes Erbe angetreten – sein Blick streifte flüchtig die jahrhundertealten Ahornbäume, die dem Haus Schatten schenkten, und die Felder und Wälder, die sich in alle Richtungen erstreckten –, aber sie waren lausige Verwalter.
Beim Aussteigen hörte er die Schafe blöken. Eine andere Autotür klappte, und Lyle kam zu ihm herüber. »Diesmal bist du an der Reihe, falls sich jemand im Schafstall versteckt«, sagte er.
»Machst du Witze? Dafür haben wir doch Kevin mitgenommen.« Russ wandte sich vom Haus ab. Kevin und Eric gaben ihnen Deckung, und P. J. lud ein Betäubungsgewehr. Von ihrem Gürtel baumelten Maulkörbe und Ledergeschirre. »Fertig?«
»Ja.«
Sie erklommen die Verandastufen. Russ klingelte an der Tür. Nichts geschah. Er klingelte erneut. Die Tür wurde aufgerissen und gab den Blick auf eine Blondine um die zwanzig in ausgebeultem T-Shirt und Pyjamahose frei. Ihr Gesicht war vom Schlaf zerknittert. »Was ist denn?«, fragte sie.
Russ kramte den Namen der Schwester aus seinem Gedächtnis. »Isabel?«, fragte er »Wir würden gern mit Ihren Brüdern reden.«
Sie blinzelte und rieb sich das Gesicht. »Warum?«
MacAuley drückte gegen die Tür, schob sie weiter auf. Sie trat zurück. »Wir wollen sie nach Amado Esfuentes fragen.«
Sie wurde wach. »Amado? Warum?«
»Er ist ermordet worden«, antwortete Russ. »Wir glauben, dass Ihre Brüder etwas über den Mord wissen.«
Sie schlug die Hand vor den Mund. Ihre Augen wurden groß, man sah die weißen Ränder. Oh, zum Teufel. Sah aus, als hätte Kevin sich in Bezug auf ihre Beziehung geirrt.
»Sind Sie sicher?«, flüsterte sie. »Sind Sie sicher, dass es Amado Esfuentes ist? Keiner von den anderen?«
»Wir haben ihn eindeutig identifiziert«, erwiderte Russ. »Es tut mir leid.«
»Man hat ihn gefoltert.« MacAuley hatte seine übliche, entspannte Maske fallenlassen. »Um an Informationen zu gelangen, die er vielleicht besessen hat. Über viele Tage. Er muss demjenigen, der ihm eine Kugel in Kopf gejagt hat, geradezu dankbar gewesen sein.«
Isabel Christie gab einen Laut von sich wie ein Tier in der Falle. Sie wich noch weiter zurück. Russ trat ins Haus.
»Sie kannten ihn, nicht wahr?« Er ließ seine Stimme mitleidig klingen.
Sie nickte.
»Ich habe ihn auch ein paarmal getroffen. Er war ein gutherziger, schwer arbeitender, junger Mann, dessen ganzes Leben noch vor ihm lag. Er hat es nicht verdient, so zu sterben.« Er bückte sich, so dass ihre Gesichter auf einer Höhe waren. »Werden Sie uns helfen?«
Sie nickte.
»Wo sind Ihre Brüder?«
Sie holte tief Luft. »Bruce …« Ihre Stimme schwankte. Sie verstummte. Als sie fortfuhr, war sie ruhig. »Bruce ist in dem Wohnwagen auf dem Hof.« Aus dem Augenwinkel sah Russ, wie Lyle sich umdrehte und Kevin und Eric bedeutete, sich darum zu kümmern. »Neil ist oben. Donald und Kathy haben gestern Abend gestritten, und er ist abgehauen, nachdem sie ihn aus dem Schlafzimmer ausgesperrt hat. Vermutlich ist er bei seiner Ex. Desiree Dwyer.«
»Ich dachte, die wäre gar nicht in der Stadt.«
Sie zeigte in Richtung Esszimmer. »Das war eine andere Ex.« Russ und Lyle umrundeten den langen Tisch und die viktorianischen Stühle und folgten ihr in den winzigen Flur. Eine steile Treppe führte zu einer Fensternische.
»Isabel«, bat Russ, »könnten Sie Ihren Bruder herunterrufen?«
Sie sah ihn an. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, die bei ihrem Eintreten noch nicht da gewesen waren. »Glauben Sie, sie haben es getan?«, flüsterte sie.
»Indizien an der Leiche weisen auf Ihre Brüder hin, ja.«
Sie holte erneut tief Luft. Ihre Miene glättete sich, wurde zu einer Maske der Normalität. Sie sah zum Obergeschoss hoch. »Neil!«, brüllte sie.
»Was’n?« Eine knurrige männliche Stimme, von einer Tür gedämpft.
»Komma runter.«
»Was, zum Teufel? Jesus Christus, weißt du, wie spät es ist?«
Sie ging ein paar Stufen hoch, bis ihr Gesicht auf einer Höhe mit dem Treppenabsatz
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