Und verfluche ihre Sünden
sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Gürteln haben, auch keine Tasche zur Wegfahrt.«
Das Mädchen blieb stehen und schaute sich um, ganz eindeutig unsicher, was es jetzt tun sollte. Frank Williamson, der heute die Gemeinde begrüßte, trat auf sie zu.
»Auch nicht zwei Röcke, keine Schuhe, auch keinen Stecken.«
Sie sagte etwas zu ihm. Er nickte. Wies auf eine der hinteren Reihen. Das Mädchen starrte mit großen Augen auf den Altar und die Blumen, auf Clare, die vor dem Stuhl des Bischofs stand. Es sagte noch etwas zu Frank, dann wandte es sich ab und lief zurück zu dem strahlenden Rechteck, das St. Alban’s von der Außenwelt trennte.
»Wo ihr aber in ein Haus geht, bei demselben bleibet, bis ihr von dannen zieht.«
Frank Williamson lief in seinen schimmernden Lederschuhen, die niemals ein Geräusch machten, den Nordgang entlang. Clare beobachtete ihn, Furcht kauerte in ihrem Leib wie eine Kröte. Viereinhalb Tage war es her, dass Russ operiert worden war, und er lag noch immer in diesem bewusstlosen Zustand, den niemand Koma nennen wollte.
»Und wo euch jemand nicht annehmen wird noch eure Rede hören, so geht heraus von demselben Haus oder der Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen.«
Frank verschwand hinter der Orgel. Einen Moment später tauchte er wieder auf und nahm erneut leise und diskret seinen Posten ein.
»So zogen sie aus und forderten die Menschen zur Buße.«
Betsy Young erhob sich geschmeidig von der Orgelbank. Sie glitt durch den Chor, adrett in rotem Talar und weißem Kragen, knickste vor dem großen Altarkreuz und blieb neben Clare stehen.
»Russ Van Alstynes Nichte hat eine Nachricht für Sie gebracht«, murmelte die Chorleiterin. »Er ist aufgewacht und reagiert auf Reize.«
»Die Botschaft unseres Herrn«, schloss Elizabeth.
»Herr, wir loben Dich.« Clares Flüstern ging in der Antwort der Gemeinde unter.
XXII
Das Wartezimmer der Intensivstation war überfüllt, als Clare dort eintraf. Mrs. Marshall, Norm Madsen und Dr. Anne, die ihr gefolgt waren, quetschten sich zu Janet und Mike, ihren drei Töchtern und Roxanne Lunt – »Sie wissen doch, dass wir beide im Vorstand der Historischen Gesellschaft sitzen, nicht? Ich weiß gar nicht, was wir ohne ihn anfangen würden«. Margy Van Alstynes Cousine Nane, mehrere ältere Misses und Mrs. Bains, seine Schulfreunde Wayne und Mindy Stoner. Jim Cameron und dessen Frau Lena – obwohl Janet wisperte: »Sie sind nur hier, weil er feststellen will, ob sie für Russ’ Unfallversicherung zahlen müssen.« Noble Entwhistle, Paul Urquhart und Harlene Lendrum, die von einem kartoffelgesichtigen Mann mit den größten, behaartesten Ohren begleitet wurde, die Clare jemals gesehen hatte. »Kennen Sie schon meinen Ehemann Harold?«
Schließlich betrat Margy Van Alstyne das Wartezimmer, die aussah, als ob sie, nicht ihr Sohn, von den Toten zurückgekehrt wäre. Die Leute strafften sich, standen auf, lächelten, während ihr Blick auf der Suche nach dem nächsten erlaubten Besucher von einem Gesicht zum anderen wanderte. Ihr Blick verharrte bei Clare. »Da sind Sie ja«, sagte sie. »Stehen Sie nicht hier herum. Er fragt nach Ihnen.«
»Will zweifellos seine Sünden beichten«, spottete Harlene.
Clare spürte, wie sie errötete, als sie sich den Weg durch die Menge bahnte, aber von allen Seiten begegnete ihr nur herzliches, großzügiges Lächeln. Falls es ihr bestimmt war, ihr Leben mitten auf der Bühne einer Kleinstadt zu führen, hatte sie wenigstens ein nachsichtiges Publikum.
Ohne das Beatmungsgerät schien der Raum viel größer. Russ hing noch immer am Tropf, aber ohne Nasensonde. Er war bleich, unter seinen müden Augen lagen tiefdunkle Schatten. Sein Fünf-Tage-Bart war teilweise verpflastert, und seine Haare mussten dringend gewaschen werden.
Sie stand an seinem Bett, so überwältigt, dass sie keinen Ton herausbrachte.
»Hi«, sagte er. Seine Stimme war schwach und rauh.
»Hi«, sagte sie. Sie lächelte. Strich über seine Stirn. Berührte seine Wange. »Ich habe geglaubt, du hättest mich verlassen.«
»Nein.«
»Du hast mir eine Scheißangst eingejagt.«
Er lächelte schwach. »Geschieht dir recht …«
»Verzeih mir«, sagte sie. »Es tut mir so leid, dass ich diese schrecklichen Dinge zu dir gesagt habe. Ich hab es nicht so gemeint. Nichts davon.«
»Lügnerin.«
Sie lachte, und es war fast ein Schluchzen. »Also gut. Etwas davon habe ich schon so gemeint. Aber nicht, dass ich dich hasse.
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