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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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erst durfte Van Leeuwen sich selbst in Sicherheit bringen. Wenn die Klinge vorher abrutschte oder wenn der Stein nicht schwer genug war oder wenn seine Kraft nachließ oder wenn erden viel zu kleinen Griff des Taschenmessers nicht mehr halten konnte –
    »Ich schaffe es nicht«, sagte Van Leeuwen. »Ich komme nicht zwischen den Zünder und die Schuhsohle.«
    »Doch, du schaffst es«, sagte Gallo. »Du weißt jetzt, wo der Zündstift ist. Du musst ihn durch das Messer spüren. Du musst zuerst die Spitze dazwischenschieben und dann immer weiter, bis du den Stift mit der ganzen Breite der Klinge unten halten kannst.«
    Er blickte auf seine Füße, und er sah Van Leeuwens Gesicht im Schein der Taschenlampe, er sah die Anstrengung und die Hoffnung und den Zweifel, und während er jetzt spürte, wie die Spitze der Klinge sich behutsam vortastete und den winzigen Spalt zwischen Sohle und Zündstift suchte, wie sie ihn suchte und fand und sich langsam hineinschob, da schloss er die Augen und fing an zu beten.
    Lieber Gott, bitte, lieber Gott.

33
    Hoofdinspecteur Henk Dekker fuhr in dem roten Mercedes Benz Baujahr 2000 durch das behelfsmäßig reparierte Tor der Firma Sharma & Sons und hielt in einer Staubwolke vor Radschiv Sharmas Trailer. Er fuhr einfach durch, ohne anzuhalten. Die Stoßstange sprengte die Torflügel auf, und das Krachen riss Radschiv aus seinem unruhigen, kummervollen Schlaf. Er hatte von Unheil geträumt. Jetzt, als er aus dem kleinen Fenster spähte, war es da.
    Henk Dekker blieb hinter dem Steuer sitzen. Er saß nur da und rührte sich nicht, und an seiner Haltung konnte Radschiv erkennen, dass er halb verrückt war vor Wut, einer Wut, die er in den Griff zu bekommen versuchte. Radschiv kannte dieses Gefühl: die Hitze in der Brust, die jähe, sinnlose Raserei im Kopf. Die quecksilbrige Leere in den Armen und Beinen, die fast wie Schwäche war. Vielleicht war es auch etwas anders als Wut, aber auf alle Fälle versuchte Dekker, Herr dieses erschreckenden Gefühls zu werden. Dann beugte er sich plötzlich vor und drückte auf die Hupe.
    Der laute Akkord der Huptöne zerriss die Stille der Nacht. Dekker stieß die Tür auf, stieg aus und drückte dabei weiter auf die Hupe. Es sah aus, als wäre die Wut zu groß für ihn, überlebensgroß; als könnte er sie nicht in sich behalten. Sie schien um ihn herumzufegen, ihn zu schütteln, während er sich an dem Wagenschlag und an der Hupe festzuhalten versuchte.
    Radschiv hatte in seinen Kleidern auf dem gemachten Bett geschlafen, sodass er sofort die Tür des Trailers öffnen und die kleine Treppe hinuntergehen konnte. »Was wollen Sie schon wieder, Mijnheer?«, rief er durch das laute Hupen. »Ich habe Ihnen gesagt, dass wir nicht verkaufen. Sie haben nichts gegen uns in der Hand. Die Polizei hat mich heimgeschickt, und sie hat auch meinen Sohn laufen lassen.«
    Dekker hörte auf zu hupen. In der jäh eintretenden Stille schien der Lärm noch einige Sekunden nachzuhallen. »Ach, Radschiv, mein Freund«, sagte Dekker leise, »du irrst dich«, und an dem gefährlichen Schwingen seiner leisen Stimme merkte Radschiv, dass der Hoofdinspecteur seinen Zorn nicht gebändigt hatte, so wie man einen Tiger nicht bändigen konnte. Er hielt ihn nur in Schach, mit der unhörbar knallenden Peitsche tödlicher Entschlossenheit. »Ja, du irrst dich – ihr alle irrt euch!«
    Damit zog Dekker den Zündschlüssel aus dem Schloss neben dem Lenkrad und hielt ihn hoch, wobei er ins Licht der immer noch brennenden Scheinwerfer trat, sodass alle ihn sehen konnten: Radschiv und auch Shak, der gerade in Hose und Unterhemd aus dem Rolltor der Lagerhalle trat, gefolgt von Mira, von Pamit. Mira war in ein langes dunkelrotes Männerhemd geschlüpft, hatte aber weder Schuhe noch Hose an. Pamit trug einen hellblauen Schlafanzug, dessen Jacke schief geknöpft war.
    Dekker ging um den Wagen herum zum Heck und schob den Schlüssel in das Kofferraumschloss. »Alle irren sich«, sagte er leise, aber deutlich hörbar. »Wenn es um Henk Dekker geht, befindet sich jeder auf seinem eigenen Irrweg, Freund und Feind, weil keiner weiß, was er ist – Feind, Freund? Kein Inspecteur De Vries heute Abend, kein Inspecteur Ten Hart. Keiner hier, der gedacht hat, Henk Dekker ist mein Freund, Henk Dekker sorgt schon für mich . Nein, Henk Dekker sorgt heute Nacht nur für sich.«
    Er öffnete den Deckel, griff in den Kofferraum und holte ein in braunes Zellophan gehülltes Päckchen heraus. Er hielt das

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