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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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nicht mehr im Scheinwerferlicht des zurücksetzenden Dienstwagens befand.
     
    Ton Gallo starrte auf die orangerote Knetmasse im Inneren des Kühlschranks. Er sah den Sprengstoff, aber er sah keine Drähte und auch keinen Zünder. Er wusste, dass es sich um Semtex H handelte, denn der rote Farbstoff – Sudan – war ihm oft genug in Bosnien begegnet. Er hielt die Tür in der einen Hand und die Taschenlampe in der anderen und fragte sich, was das, was er sah, zu bedeuten hatte. Dann merkte er, dass seine Hände zitterten, und im selben Moment begriff er, warum.
    Es war nicht das Semtex im Innern des Kühlschranks.
    Es war das, worauf er kauerte. Das, was er im Dunkeln für einen Stein gehalten hatte.
    Es war eine Tretmine, die ihn zerfetzen würde, sobald er seinen Fuß herunternahm. Sie würde explodieren, und die Wucht der Detonation würde ihm die Beine abreißen und das Semtex im Kühlschrank ebenfalls in die Luft jagen.
    Er knipste die Taschenlampe aus und legte sie neben sich auf die Erde. Das hast du davon , dachte er. Plötzlich war ihm kalt, und er merkte, dass er in Schweiß gebadet war. Seine Hände zitterten nicht mehr, dafür fingen jetzt die Muskeln in seinen Oberschenkeln an zu zittern. Das hast du davon . Du weißt, wie es weitergehen wird. Das Muskelzittern in den Oberschenkeln wird auf die Waden übergreifen, nicht sofort, aber bald, und etwas später wird aus dem Zittern ein Krampf, und eine Zeit lang wirst du den Krampf aushalten, aber nicht ewig, nicht mal die ganze Nacht, irgendwann wirst du umkippen, und der Sensor in der Mine wird auf den Gewichtsverlust reagieren, und das hast du dann davon.
    Er schloss die Kühlschranktür, obwohl es nichts nützen würde. Wenn die Tretmine hochging, flog das Semtex mit in die Luft. Er wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Für einen Moment verlor er das Gleichgewicht. Hastig stützte er sich mit beiden Händen auf dem Boden ab.
    Das war knapp. Denk nach. Was kannst du tun? Allein kommst du von der Mine nicht runter, aber was kannst du tun? Denk nach, denk nach, denk nach. Was kannst du tun? Weißt du noch, wie ihr es auf dem Balkan gemacht habt, wenn einer auf eine Bodenmine getreten war?
    Der Fuß durfte auf keinen Fall weggezogen, das Gewicht nicht verringert werden, nicht mal für den Bruchteil einer Sekunde. Deswegen war es gut, wenn man in Rufweite der Kameraden blieb: Man rief einen, der stark genug war, mit einer Messerklinge den Druck auf die Mine aufrechtzuerhalten, während man selbst einen schweren Stein oder ein Stück Eisen holte. Den Stein oder das Stück Eisen legte man dann auf die Messerklinge, und wenn der Mann mit dem Messer die Klinge zurückzog, geschah nichts, weil die Mine nicht merkte, dass statt des Fußes erst eine Klinge und dann der Stein auf den Sensor drückte.
    Die Mine war dumm. Man wickelte einen langen Bindfaden um den Stein, und wenn man in sicherer Entfernung in Deckung gegangen war, zog man den Stein von der Mine. Die Mine sprengte sich selbst in die Luft.
    Aber hier gab es keine Kameraden, die ihm helfen konnten. Er war allein. »Hallo!«, rief er, und dann noch einmal: »Hallo?!«
    Er hörte den Wind, der durch die Büsche strich, sonst nichts. Er starrte auf die rostige Aluminiumtür des Kühlschranks dicht vor seinem Gesicht, bis er sie nicht mehr sah. Er roch den Modergeruch des nahen Kanals, und er roch die scharfe Mischung aus Schweiß und feuchtem Leder, die von seiner Jacke aufstieg. »Ist jemand hier? Kann mich irgendjemand hören?!«
    Keine Antwort. Plötzlich merkte er, wie durstig er war. Seine Zunge klebte am Gaumen, und wenn er schluckte, schmerzte der ganze Hals. Er legte den Kopf in den Nacken. Er suchte den Mond, aber der Himmel hatte sich bezogen.
    » Ton!«
    Er hielt den Atem an. Er wusste nicht, wie lange er schon reglos auf der Tretmine kauerte. Er wusste nur, dass er zu fantasieren begann; der Wind klang plötzlich wie eine Stimme, die seinen Namen rief.
    » Ton Gallo?!«
    »Hier!«, rief er. »Ich bin hier!«
    »Wo ist hier?«
    »Bruno?! Bist du das?«
    »Ja!«
    »Du musst durch das Loch im Zaun klettern und dich dann hinter der Planierraupe rechts halten«, rief Gallo. »Ich schalte meine Taschenlampe ein, du kannst das Licht sehen!« Er war so erleichtert, dass seine Konzentration nachließ. Er spürte, wie er erneut das Gleichgewicht verlor. Sein Herz begann zu rasen, dann blieb es stehen. In panischer Hast krallte er die Finger in die Erde. Sekundenlang hatte er das

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