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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Licht der sinkenden Sonne schräg in die Straße, und Carien setzte eine Sonnenbrille auf. Bevor sie die Tür absperrte, warf sie schnelle Blicke das Trottoir hinauf und hinunter.
    Der Golf parkte am Ende der Straße, genau dort, wo der Schrottplatz begann. Julika stand neben der offenen Fahrertür des Wagens, und als sie Van Leeuwen und Carien kommen sah, rutschte sie hinter das Steuer. Van Leeuwen ging voraus zur Beifahrertür, öffnete sie und klappte die Rückenlehne nach vorn, damit Carien sich auf die Rückbank setzen konnte. »Das ist Brigadier Tambur«, sagte er. »Sie gehört zu meinen Leuten.« Zu Julika sagte er: »Carien Dijkstra. Sie begleitet uns zur Gerichtsmedizin.«
    »Hallo«, sagte Julika.
    Carien schien Julika gar nicht wahrzunehmen. Sie blieb neben dem Wagen stehen. Sie setzte eine Sonnenbrille auf, ihre Lippen zitterten. »Er hatte manchmal ganz blutige Füße«, sagte sie leise. »Wenn er frühmorgens zurückkam, nach seiner Rosentour, waren seine Füße wund und voller Blasen, und manchmal haben sie geblutet.« Dann sagte sie: »Sein Blut soll über diese Scheißstadt kommen!«
    Nicht über meine Stadt, dachte der Commissaris.

5
    Jedes Mal, wenn der Commissaris die Wohnungstür öffnete, spürte er den Verlust. Es war noch nicht so schlimm, wenn er über die Brücke ging oder der Gracht folgte bis zum Haus, und es war auch noch nicht zu schlimm, wenn er die enge Treppe zur obersten Etage hinaufstieg. Aber sobald er den Schlüssel ins Schloss schob und die Tür öffnete, traf ihn die Leere mit aller Wucht. Die Leere war schlimmer als die Angst, die er früher oft auf dem Heimweg verspürt hatte. Es brauchte immer noch Mut, abends nach Hause zu kommen, aber es war ein anderer Mut, der nicht mehr belohnt wurde.
    Die Wohnung lag im dritten Stock eines gepflegten Gebäudes an der Egelantiersgracht, unweit der Prinsengracht, und an jedem Abend schaute Van Leeuwen als Erstes zu den Fenstern unter dem Dachgiebel hinauf. Er ging über die Brücke, und auf der anderen Seite konnte er über den schmiedeeisernen Gaslaternen und den grünen Kronen der Ulmen die Fenster sehen, und manchmal glaubte er sogar, dahinter Simone zu erkennen, wie sie bei ihren Blumen stand und wartete, ohne zu wissen, worauf.
    Es war erst kurz nach zehn, als er an diesem Abend die Brücke überquerte. Die Fassaden der Häuser wurden allmählich dunkel, und der Himmel verfärbte sich zu einem violetten Blau. Auf den Straßen sprang blasses Licht von Laterne zu Laterne. In den Cafés, Geschäften und kleinen Werkstätten längs der Gracht erklangen noch all die Geräusche, die im Sommer bis in die Nacht hinein das Leben wachhielten. Im Süden reflektierte ein halber Mond das Licht der längst untergegangenen Sonne. Durch das Laub der Bäume strich ein schwacher Wind, und um die Glasstürze der Laternen tanzten Mücken in unruhigen Schwärmen.
    Die Fenster waren erleuchtet.
    Der Commissaris blieb stehen, und sein Herz geriet aus dem Takt. Sie ist wieder da, dachte er unwillkürlich. Sie hat es nicht mehr ausgehalten und ist weggelaufen, und irgendwie hat sie es bis nach Amsterdam und in unsere Wohnung geschafft. Er empfand eine jähe, unwiderstehliche Freude, bis ihm klar wurde, dass er nur vergessenhatte, das Licht auszuschalten, bevor er zu seinen nächtlichen Runden aufgebrochen war.
    Er tippte die Zahlenkombination für das Türschloss ein, drückte auf den Öffner und tastete nach dem Schalter für die Treppenhausbeleuchtung. Auf einmal war er so müde, dass ihm die enge Treppe unbezwingbar erschien. Langsam stieg er die knarrenden Holzstufen hinauf, vorbei an der Wohnung der Hausbesitzerin im ersten Stock und der Tür des Konzertpianisten und dessen Tochter im zweiten. Das Etagenlicht erlosch. Im Dunkeln erklomm Van Leeuwen den letzten Treppenabsatz. Er lauschte einen Moment, aber hinter der Tür zu seiner Wohnung blieb alles still, und das änderte sich auch nicht, als er sie geöffnet hatte und eingetreten war.
    Früher hatte Simone ihn vom Fenster aus kommen sehen und ihn an der Tür erwartet, auch wenn sie keine Erinnerung daran hatte, wer er war. Warum ist es so schwer, mit einem Verlust zu leben?, dachte er. Inzwischen war sie ein halbes Jahr weg, sieben Monate genau, aber was waren schon ein halbes Jahr oder sieben Monate?
    Er schaltete das Licht aus und öffnete die Fenster im Wohnzimmer, die auf die Gracht und die Bäume und die Boote an den Ufermauern gingen. Der Himmel war noch immer nicht ganz dunkel, aber der Wind

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