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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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und jedes Mal, wenn er den Kopf hob und aus dem Fenster schaute, sah er, dass in den Häusern auf der anderen Seite der Gracht wieder ein Fenster erloschen war. Ich könnte mich weigern , dachte er. Was kann Joodenbreest schon groß tun? Andererseits war es notwendig, in regelmäßigen Abständen eine Einschätzung der Männer und Frauen vorzunehmen, mit denen man zusammenarbeitete, denn von ihrem Urteil hing wiederum die Einschätzung eines Falls, eines Verdächtigen oder eines Zeugen ab.
    Das war auch der Grund, warum er als Commissaris immer noch selbst an einen Tatort ging und am liebsten jeden einzelnen Zeugen persönlich befragte: Er wollte den Fall und die Tatumstände nicht aus zweiter Hand kennenlernen. Sich nicht auf andere verlassen müssen, um seine Schlüsse ziehen zu können, obwohl er ihnen vertraute. Jeder Fall, jeder Zeuge, jeder Tatbeteiligte oder Verdächtige wurde gefärbt durch die Augen des Polizisten, der die ersten Eindrücke sammelte und weitergab.
    Dafür lagen diese Bögen vor Van Leeuwen. Nicht, damit er Ton oder Julika oder Remko Noten erteilte, sondern um sich selbst ein möglichst genaues Bild zu verschaffen: Wessen Geschichte kreuzte sich mit dem jeweiligen Fall, wie reagierte er auf die Umstände des Todes, die Geschichte des Toten, welche Farbe nahmen seine Berichte dadurch an, was musste man wieder herausfiltern.
    Der Commissaris begann mit ein paar Stichworten, die zu nicht ausformulierten Sätzen wurden. Immer noch besser als multiple choice , dachte er. Er schrieb: Hoofdinspecteur Anton Gallo, genannt ›Ton‹, Alter 33. Enkel italienischer Einwanderer aus Bologna. Vater Pietro besaß drei Eisdielen, Mutter starb, als er acht Jahre alt war. Hat als Freiwilliger bei den niederländischen Ifor-Friedenstruppen auf dem Balkan gedient und träumt schreckliche Träume von den Massengräbern in Srebrenica.
    Den Massengräbern und den Massakern, dachte Van Leeuwen. Trotzdem nicht verroht oder zum Einzelgänger geworden, im Gegenteil, ein tapferer, aufrichtiger und sorgfältiger Beamter, diszipliniert und fähig zur Teamarbeit. Unbedingt loyal. Lebt auf einem Hausboot an der Brouwersgracht mit Namen ›Riki Tiki Tavi‹, das er von seinem Vater geerbt hat. Kein eigenes Vermögen, keinerlei Verbindlichkeiten.
    Weiter: Hoofdinspecteur Gallo ist groß und schlank, er hat kräftige blonde Haare, leuchtend blaue Augen und sehr schöne Hände. Ich schreibe das, weil Frauen auf Männer mit schönen Händen stehen, und eigentlich müsste er an jedem Finger zehn haben, aber er ist Single. Vielleicht wartet er schon so lange auf die Richtige, dass er nicht mehr merkt, dass er wartet. Vielleicht will er keiner Frau einen Mann zumuten, der das gesehen hat, was er sehen musste, und der Polizist geworden ist, um seine Hände nicht in Unschuld zu waschen. Ich weiß es nicht.
    Ich schreibe das auch nicht wirklich , dachte Van Leeuwen. Stattdessen überlegte er, was ihm zu Brigadier Tambur einfiel.
    Julika Tambur, 26, war ein schwieriger Fall für jemanden, der sie so beurteilen wollte, dass ihr Gerechtigkeit widerfuhr. Sie war eine gute Polizistin, und trotzdem eckte sie häufig an. Sie begriff schnell, erkannte Zusammenhänge, konnte Bezüge herstellen und abstrakt denken, blieb aber trotzdem bodenständig, realistisch.
    Ist Polizistin geworden, um ihre Angst in den Griff zu kriegen. Lebt in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in einem anonymen Hochhaus in Bijlmermeer. Ihr Vater ist Alkoholiker. Hat ihre Mutter und ihre kleine Schwester bei einem Autounfall getötet, unabsichtlich. Tambur versucht, ihn nicht fallen zu lassen, ihn nicht zu hassen. Besucht ihn sogar in der schäbigen Bude, in der er von der Sozialfürsorge lebt. Wurde auf zwei Revieren gemobbt, ehe sie zur Mordkommission kam. Spricht italienisch.
    Van Leeuwen überlegte, ob er das mit der Angst erklären oder nicht lieber ganz weglassen sollte. Es konnte bei jemandem, der sie nicht kannte, einen falschen Eindruck erwecken. Sie hatte es ihm in einem sehr privaten Moment anvertraut, einem Moment, in dem er zu ihr gekommen war, weil er ihre Hilfe brauchte. Die Hilfe von jemandem, der seine Lebenssituation kannte und der Italienisch konnte.
    Sie hatte ihm die Briefe von Simones Geliebtem übersetzt, die er im Koffer seiner Frau gefunden hatte. Es war ihr nicht leichtgefallen, aber sie hatte nicht gekniffen, und sie hatte ihm dabei in dieAugen gesehen. Vor allem hatte sie nie wieder davon gesprochen; es nicht als Freibrief für

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