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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Vertraulichkeiten betrachtet.
    Davon abgesehen: Im Dienst hatte er sie nie ängstlich erlebt. Sie hatte nie aus Angst ein falsches Verhalten an den Tag gelegt, auch nie übertrieben tollkühn agiert, um sich selbst oder anderen etwas zu beweisen. Er beschloss, darüber noch nachzudenken und sich später zu entscheiden.
    Dann dachte er daran, wie der Junge, Pamit, gesagt hatte, sie sieht seltsam aus . Heute hatte sie plötzlich ganz anders gewirkt, apart und dünnhäutig, die Schönheit der Verletzlichkeit, etwas, das sie an sich selbst wahrscheinlich nicht mochte; was niemand wissen sollte. Sie ist eigentlich zu zart , schrieb er, strich es aber gleich wieder durch und notierte in Gedanken nur für seine Beurteilung: Panzert sich mit Punkoutfit, wenn die familiären Probleme ihr zu nahe rücken, und benutzt es hin und wieder auch, um einen Draht zu jugendlichen Zeugen oder Tätern zu finden.
    Auf dem nächsten Bogen stand Inspecteur Remko Vreeling . Sofort fielen dem Commissaris eine ganze Reihe von Begriffen ein, die er wie selbstverständlich mit dem Bleistift hinschrieb: hilfsbereit, engagiert, begeisterungsfähig, energiegeladen, furchtlos , aber auch unkritisch, hitzig, leichtsinnig. Remko stammte von den Niederländischen Antillen und war im Mutterbauch eingewandert, unehelich geboren und als Sohn eines Kneipenbesitzers in Rotterdam aufgewachsen. Dunkle Haut, dunkles Haar, lockig, kurz geschnitten; dunkle Augen, aber nur die Iris, der Rest war Bernstein. Ein Lachen, das Marmor, Stein und Eisen bricht. Eine durchtrainierte Figur, betont durch sportliche, legere Kleidung: was ein Panther anziehen würde, wenn er sich kleiden müsste wie ein Mensch.
    Das alles schrieb Van Leeuwen nicht hin, denn er hatte plötzlich das starke Gefühl, dass Remko bei der Polizei fehl am Platz war. Er konnte viel und lernte schnell, war sich für nichts zu schade. Hatte keine Vorurteile. Sprengstoffe, Abhörtechniken, Psychologie des Terrorismus, alles interessierte ihn, nur die Straße nicht. Für seine Kollegen hätte er den Kopf unter die Guillotine gelegt.
    Die Frauen, mit denen er zusammen war, blieben nie lange aktuell.Häufig wechselnde Sexualpartner, nannte man das wohl. Aber war das gut oder schlecht für einen Polizisten?
    Van Leeuwen wusste, dass all das irgendwie in die Beurteilung einfließen musste, aber er wusste nicht, wie er es formulieren sollte. Ich muss noch mal mit ihm sprechen , nahm er sich vor. Sobald er von dem Seminar zurück ist, werde ich mich mit ihm unterhalten und ihn fragen, was er über sich schreiben würde. Ob er meine Beschreibung angemessen findet. Oder wie wäre es, wenn ich ihn frage, was er über mich schreiben würde?
    Ausgerechnet bei diesem Fall musste er auf Inspecteur Vreelings Hilfe verzichten, weil der an einem Seminar über Strategien und Motive der Terroristen der dritten und vierten Generation teilnahm, eine dieser völlig sinnlosen Erfindungen von Innenministern und Staatssekretären – und von Hoofdcommissaris Joodenbreest und den Polizeipräsidenten der anderen Distrikte: Männer, die nicht einen Tag in ihrem Leben Streife gegangen waren, sondern – direkt von der Akademie kommend – Führungspositionen besetzt hatten und Ermittlungen vom Schreibtisch aus mit dem Handy leiteten. Sie rauchten nicht, sie tranken nicht, sie versteckten ihre Frauen, und wenn sie mal richtig einen draufmachen wollten, schoben sie das Strafgesetzbuch als Audiobook in den CD-Player und gönnten sich ein zweites Glas Perrier zum Gemüseauflauf aus dem Bioladen.
    Was keiner von denen wusste: Jeder Mörder hatte seine eigene Strategie, seine eigenen Motive. So armselig, monströs oder widersinnig sie auch erscheinen mochten, jeder hatte seine Gründe. Die Gesellschaft hatte ihn gekränkt, eine Frau hatte ihn gedemütigt, ein Gott hatte ihn auserwählt, ein Politiker hatte ihn erzürnt. Sein Ego schrie nach den fünfzehn Minuten im Blitzlichtgewitter des Ruhms. Aber jeder hatte seine Gründe, und im Lauf seines Lebens hatte der Commissaris die meisten gehört, und was sich daraus ergab, war eine lange, traurige Chronik menschlicher Verirrungen. Und das Traurigste dabei war, dass es fast immer zwei Opfer gab: den toten Mann, die tote Frau oder das tote Kind und den Mörder selbst, ein von seinen quälenden Begierden oder wirren Träumen heimgesuchter Mensch.
    Was waren die Motive von Amir Singhs Mörder? Oder den Mördern, falls es wirklich zwei oder am Ende noch mehr gewesen sein sollten. Habgier? Rache?

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