Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
ein Ausweis, und deutete auf einen Anlegesteg neben einem Betonhäuschen am Ufer.
Vor dem Boot tauchten die futuristischen Glashäuser des Hortus Botanicus am Ufer auf, gleißend im Sonnenschein. Hinter den großen Scheiben reckten sich Palmen, Riesenkakteen und Schlingpflanzen an Metalltrossen dem Licht entgegen.
Der Commissaris schwenkte die Ausgabe von Het Parool , auf der Dekker gesessen hatte, und rief: »Sie haben Ihre Zeitung vergessen, Mijnheer. Und ich habe doch noch eine Frage: Als Amir nach der Razzia durch das Dickicht Ihrer verdeckten Ermittlungen bis zu Ihnen vorgedrungen war, wo hat er Sie da gefunden? In Rotterdam oder hier in Amsterdam?«
Der Hoofdinspecteur stand bereits an der Gangway, während das Boot gemächlich beidrehte. Er wandte sich weder um, noch gab er sonst wie zu erkennen, dass er Van Leeuwen verstanden hatte; nur sein Nacken rötete sich. Dann ging das Boot längsseits, ohne anzulegen. Dekker stieg rasch auf den Landesteg, und der Kapitän steuerte das Boot wieder in die Mitte der Gracht, und Van Leeuwen hatte das merkwürdige Gefühl, einem Zaubertrick aufgesessen zu sein. Dekker sah auch jetzt nicht zurück. Hoch aufgerichtet und elegantging er ruhigen Schritts weiter, bis er eins wurde mit den grün wuchernden Pflanzen und dem Gleißen des Glashauses und der bunten Menschenmenge rings um den Hortus Botanicus.
16
Der Commissaris hörte Carien Dijkstra, bevor er sie sah, und dann sah er Radschiv Sharma und Mirabal, und kurz, ganz kurz nur hatte er ein schlechtes Gewissen. Carien hatte ihn angerufen, gestern schon, und gefragt, ob er zu Amirs Einäscherung kommen könnte. Sie dachte, Amir wäre vielleicht froh gewesen, wenn noch jemand da war; jemand aus dem Land, in dem er sich eine glückliche Zukunft ausgemalt hatte.
Carien trat aus dem Einäscherungsraum des Krematoriums und schien einen Moment verwirrt, als wüsste sie nicht, wo sie war. Sie trug ein gelbes Sommerkleid und eine malvenfarbene Wildledertasche, die an einem dünnen Riemen von ihrer linken Schulter baumelte. Der Commissaris blieb stehen.
Radschiv Sharma hatte einen schwarzen Mantel an, dazu eine schwarze Hose, schwarze Schuhe, ein weißes Hemd, und auf dem Kopf trug er seinen safrangelben Turban. Mirabal – in einem dunkelgrauen Kostüm, einer malvenfarbenen Seidenbluse und roten Wildledersandalen – zog ihn eilig hinter sich her, als hätten sie sich schon verspätet.
Als Mirabal Carien erblickte, ließ sie Radschivs Hand los. Das war der Moment, in dem Carien zu begreifen schien, wen sie vor sich hatte. »Sie sind Radschiv Sharma«, sagte sie, und ihre Stimme klang ganz normal, aber dann ging etwas mit ihrer Stimme vor, und danach klang sie verändert. »Wie können Sie es wagen – wie können Sie es nur wagen, hier aufzutauchen !?«
»Entschuldigen Sie«, sagte die junge Frau leise. »Bitte, entschuldigen Sie. Ich bin Mirabal Halawi, und Sie sind bestimmt Carien, Amirs Freundin. Wir wollen Sie in Ihrer Trauer nicht stören –«
»Das tun Sie aber«, sagte Carien. »Sie stören mich, und Sie störenAmir.« Sie tat einen Schritt auf den alten Inder zu. »Sie töten ihn, Sie ermorden meinen Mann, den Vater meines ungeborenen Kindes, und dann wagen Sie es, hierherzukommen, ohne Scham, ohne Anstand –«
»Seien Sie still!« Radschiv Sharma schob Mirabal beiseite und trat ganz dicht an Carien heran. Auf seiner Stirn war eine Ader angeschwollen, Van Leeuwen konnte das Blut darin pochen sehen. »Ich habe Amir nicht getötet. Ich habe ihm Arbeit gegeben, und ich habe ihn geliebt wie einen Sohn, und ich bin hier, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.« Seine Stimme war laut, gewohnt, Befehle zu geben, und gewöhnt daran, dass man ihr gehorchte.
Aber Carien wollte sich nicht unterwerfen, nicht am Tag von Amirs Einäscherung. »Sie lügen!«, stieß sie hervor. »Ich weiß, dass Sie es waren, und ich kann es beweisen! Amir hat herausgefunden, was Sie tun, was für ein Verbrecher Sie sind, und Sie haben ihn getötet, weil er Ihnen –«
»Nichts können Sie beweisen, weil es nichts zu beweisen gibt, keine Morde, keine Verbrechen!« Sharma hob seine rechte Hand, als wollte er sie schlagen. »Das Blut soll mir in den Adern zu Asche werden, wenn ich mir auch nur das Geringste vorzuwerfen habe!«
»Carien, bitte, hören Sie mir einen Moment zu!« Das war Mirabal, die Carien jetzt einen Arm um die Schulter legte und sie sanft zur Seite führte, zur Mauer, wo der Schein der tief stehenden Sonne den Staub auf dem
Weitere Kostenlose Bücher