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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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»Können Sie Simone wecken und an den Apparat holen?«
    »Nein, das kann ich nicht«, antwortete Ten Damme, und zum ersten Mal hörte Van Leeuwen eine leichte Gereiztheit in seiner Stimme. »Ihre Frau schläft, Mijnheer, und selbst wenn sie nicht schlafen würde, hätte es keinen Sinn, sie jetzt ans Telefon zu holen, aus Gründen, die Sie ganz genau kennen. Wenn Sie wollen, kann ich ihr morgen früh etwas ausrichten. Das ist alles, was ich kann und will.«
    »Gut, dann richten Sie ihr etwas aus, bitte«, sagte Van Leeuwen demütig. »Sagen Sie ihr Koffer .«
    »Koffer?«
    »Ja, und dass ich sie liebe.«
    »Gut, Mijnheer, ich werde es ihr ausrichten.«
    »Und dass ich sie bald wieder besuchen komme.«
    »Das wird sie freuen. Gute Nacht, Mijnheer.«
    »Gute Nacht.« Van Leeuwen hörte, wie am anderen Ende aufgelegt wurde, und dann legte er selbst auf, blieb jedoch noch einen Moment neben dem Telefon sitzen. Er stellte fest, dass er den Brief noch immer in der linken Hand hielt.
    Er entsann sich jenes lang zurückliegenden Tages vor Weihnachten, und beim Lesen war ihm alles wieder eingefallen, was Simone in ihren Zeilen beschrieben hatte. Die ganzen Bilder. Die Farben waren nicht mehr so hell, die Konturen nicht mehr so scharf. Aber die Jahre, die seitdem vergangen waren, hatten die Gefühle von damals nicht ersterben lassen. Diese Bilder und andere hingen für alle Zeit in den Zimmern seines Lebens, und selbst wenn es in den Räumen dunkler wurde, vermochte die Zeit ihrem goldgetönten Glanz nichts anzuhaben. Er konnte sie betrachten, wann immer ihm danach war; er konnte sich erinnern.

18
    Sie hatte ihn nicht kommen hören. Sie wusste nur, dass er da war, und im nächsten Moment spürte Carien einen kurzen, heftigen Schmerz in der linken Seite. Erschrocken schrie sie auf, aber niemand hörte sie, denn das Nebelhorn tutete wieder, und es sah auch niemand zu ihr her, alle sahen nach vorn, und noch einmal spürte sie den Schmerz. Es war das jähzornige Tier, das die winzigen Wunden riss.
    Eine Hand verschloss ihr den Mund, und sie spürte, wie sie gegen die Reling gedrängt wurde, er drängte sie gegen die niedrige Reling gleich neben der Landeklappe, hob sie hinüber und stieß sie in das gurgelnde schwarze Wasser, und sie fiel.
    Das Wasser traf sie so hart wie ein Schlag. Es erstickte ihrenSchrei, drang ihr in Nase und Rachen, und als sie unterging, rauschte es in ihren Ohren. Im ersten Moment wirkte es kalt, und gleich darauf war es warm. Sie tauchte wieder auf und würgte und musste husten. Sie öffnete die Augen. Das Heck der Fähre ragte bedrohlich vor ihr auf. Das weiße Licht der wenigen Lampen zerfloss in ihren Wimpern. Sie schmeckte Salz und Öl und schlug um sich, bis ihr einfiel, dass sie schwimmen musste.
    Eine Welle rollte auf sie zu. Sie ging wieder unter, ganz kurz bloß, und als sie erneut auftauchte, war die Fähre schon ein Stück weit weg, aber das machte nichts, sie konnte ja schwimmen, und bis zum Kai am Ufer war es nur ein kurzes Stück, und sie dachte, das schaffe ich. Sie spürte den Schmerz in ihrer Hüfte, der bei jeder Bewegung tief ins Bein hinabstieß und nach oben bis zur Schulter. Trotzdem konnte sie es schaffen, sie musste nur die Strömung besiegen, die sie mit sich zog, und sie musste die Kälte besiegen und aufpassen, dass sie nicht vor den Öltanker geriet, der groß und schwarz in der Mitte des Kanals heranrauschte.
    Sie wollte weg von dem Tanker und seiner Bugwelle, seinem Kiel. Die Strömung trieb sie zurück. Sie drehte sich, verlor das Ufer aus den Augen. Sie versuchte, sich zu orientieren. An den Lichtern, den Schatten, dem Glanz auf dem Wasser. Das Wasser brannte in ihren Augen. Es gab die Dunkelheit des Himmels und die Dunkelheit des Wassers und des Ufers, und vor allem gab es die Dunkelheit des Tankers. Lieber Gott, mach, dass ich von dem Tanker wegkomme, dachte sie. Mach, dass er an mir vorbeifährt und ich nicht in seinen Strudel gerate.
    Sie holte so tief Luft, wie sie konnte, hustete das Wasser in ihren Lungen hervor. Bei jedem Husten schien ihre Hüfte weiter aufzureißen, und sie dachte, gut, dass es brennt. Solange es brennt, bin ich nicht gefühllos. Wenn mein Körper gefühllos wird, werde ich untergehen. Bitte, mach, dass meine Hände und Beine nicht gefühllos werden.
    Sie schwamm auf das Ufer zu, aber das Ufer kam nicht näher. Es schwankte auf und nieder, aber es kam nicht näher, und das Fährboot war kaum noch zu sehen. Ruhig, dachte sie, ich muss einen

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