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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Pony, und dann als junges Mädchen, sie sah ihre Schulfreundinnen, und den ersten Jungen, sie hatte seinen Namen vergessen, Maarten, glaube ich , und danach sah sie sich bei einem Picknick an der Amstel mit einem anderen Jungen, nein, mit einem Mann. Sie sah sich mit anderen Männern, immer mehr, sie waren alle da, die ganzen falschen Männer, mit denen sie sich abgegeben hatte, bis zu dem letzten, der sie gerade eben verletzt und von der Fähre gestoßen hatte. Da endlich begriff sie, dass es wirklich ihr Leben war, das sie sah; es lief vor ihr ab, in rasender Geschwindigkeit, jeder Tag, von Geburt an, und hier endete es, in diesem Moment, als sie von einem Strudel gepackt wurde, der sie drehte und noch einmal drehte und hinunterzog.
    Er ist so kurz, dachte sie überrascht, der Film ist viel zu kurz und so dunkel, die letzten Bilder wurden immer undeutlicher. Sie versuchte den Mann zu erkennen, der hinter sie trat, um sie zu töten. Sie bäumte sich auf vor Anstrengung, ihn wiederzufinden unter all den Gesichtern, die an ihrem inneren Auge vorbeiwirbelten wie die Zeichen auf den Karten in einem Spielautomaten.
    Mit einem schwarzen Gurgeln presste das Wasser ihren Kopf zusammen. Ihre Arme schlugen um sich, ohne dass sie es wollte. Sie griffen nach etwas, um sich festzuhalten; sie fanden keinen Halt. Das Wasser drang ihr in die Nase, in den Mund, und dann spürte sie es in ihren Lungen. Es war so schwer, schwer wie Blei. Und das letzte Bild – nichts als ein Licht. Es war so klar, so hell. So unausweichlich. Es kam auf sie zu und erfüllte sie. Es war da, um sie mitzunehmen; um mit ihr zu schrumpfen, zu einem winzigen glühenden Punkt – dem letzten Funken der Existenz.
    Ich hatte immer einen Traum von einem gelben Sommerkleid, dachte sie. Das Kleid breitete sich um sie aus wie eine Seeanemone. Es öffnete und schloss sich. Sie erlosch in seiner feuchten Umarmung.

19
    Die junge Frau in dem gelben Sommerkleid lag mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Ihre Haare trieben auf der schwachen Dünung wie Seetang. Die nackten Beine waren schmutzig, und die kleinen Wellen, die gegen die moosbewachsenen Steine am Ufer schwappten, strichen über die Beine und das Kleid und bewegten das Haar, sodass man glauben konnte, die junge Frau wäre am Leben und nicht tot.
    Der Himmel war von zerfransten Wolken bedeckt, die der Wind manchmal nicht schnell genug nachschob, sodass die Sonne ein paar fahle Strahlen herabschicken konnte. Die Strahlen fielen auf den nassen Hinterkopf der jungen Frau und auf ihre nackten Kniekehlen und auf den Rücken in dem gelben Kleid, wo sie kurz aufleuchteten, bevor sie wieder erloschen.
    Die Luft roch nach Tang und Brackwasser. Der Wind wehte in scharfen Böen, die dem Commissaris die Tränen in die Augen trieben. Er kletterte die Uferböschung hinunter, und als er über den Schlick und die nassen Steine auf die Leiche zuging, sah er nur das Gelb des Stoffs und das weiße Fleisch, und man brauchte die Frau nicht umzudrehen, damit er wusste, was mit ihr passiert war. »Das ist Carien Dijkstra«, sagte er zu Hoofdinspecteur Gallo und Brigadier Tambur, die ein paar Schritte hinter ihm gingen. Er wünschte sich zurück nach Hause, in sein Bett; wünschte sich einen anderen Tagesbeginn.
    Das Telefon hatte geklingelt. Der Commissaris erwachte mit einem Ruck und hatte einen Moment lang das Gefühl, mit dem Nacken auf einem Stein zu liegen. Das Telefon klingelte weiter. Er richtete sich auf und griff nach dem Wecker. Es war drei Minuten nach sechs. Er schwang die Beine aus dem Bett. Tageslicht fiel in einem schmalen Streifen durch die zugezogenen Vorhänge. Das Telefon hörte nicht auf zu klingeln. Nackt ging Van Leeuwen in die Diele, bückte sich nach dem Hörer und hob ab. »Ja?«
    »Bruno? Ton hier. Eine unbekannte Frauenleiche beim Shell-Turm in Noord, eben gefunden. Ich bin in einer Viertelstunde da und hole dich ab.«
    Van Leeuwen zog die Vorhänge auseinander. Der Himmel war von zerfransten Wolken bedeckt, die der Wind manchmal nicht schnell genug nachschob, sodass die Sonne ein paar fahle Strahlen herabschicken konnte. Er war derselbe Himmel, und es gab keinen anderen Anfang, weder um sechs Uhr morgens noch irgendwann sonst heute. Gallo kam pünktlich und klingelte, und Van Leeuwen erwartete ihn bereits angezogen.
    Sie fuhren schweigend. Sie hatten das Blaulicht aufs Dach geheftet, ließen die Sirene allerdings ausgeschaltet. Der Hoofdinspecteur war auch unter diesen Umständen ein guter Fahrer, der die

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