Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
Sie wären gern schneller gegangen, aber der Strom der Männer, Frauen und Kinder, der sie umgab, bewegte sich nur träge, und sie wollten kein Aufsehen erregen.
Sie suchten ausschließlich nach dunklen Gesichtern und nach Männern. Keine schwitzenden Rucksacktouristinnen aus Deutschland, keine lärmenden Spanier, keine jungen Japanerinnen in Nikes und Trainingsanzügen, keine alten Amerikanerinnen mit Sandalen und Basthüten auf dem lila gefärbten Haar. Nur die dunklen Gesichter und nur die Männer: Sie entdeckten sie, sie fassten sie ins Auge – schärfer, näher – und ließen den Blick weiterwandern, sobald sie die Merkmale mit dem Bild, das sie in sich trugen, abgeglichen hatten. Es war das Bild von Shak Sharma.
Der Markt nahm die ganze Straßenbreite ein und zog sich über mehrere Kreuzungen. Unter den Zeltplanen und Markisen sammelte sich die Wärme. Nur gelegentlich strich eine Brise durch die Straße, dann blähten sich die Teppiche und Seidentücher und Frotteemorgenmäntel und Samthemden träge an ihren Leinen, und das Klirren von Eisengeschirr mischte sich in die plärrende Musik aus den Lautsprechern der CD-und Videoshops. Überall roch es anders, nach gebratenem Fleisch, geröstetem Fisch, Holzkohlefeuern, scharfen Gewürzen, frisch geschnittenen Tulpen, Weihrauch. In dem Zwielicht hinter den Verkaufsständen schien die Luft wie mit Honig durchsetzt. Abwasserrinnsale standen an der Gehsteigkante. Möwen stolzierten herrisch vor den Ständen auf und ab, unbeeindruckt von den Füßen der Passanten, und pickten nach dem Schillern verstreuter Fischschuppen. Das Geschrei der Hausierer und Straßenkünstler dröhnte Van Leeuwen in den Ohren, dazu Gitarren, Drehorgelklänge und das Klingeln zahlloser Fahrräder. Fehlt nur noch das Blöken von Maultieren oder Schafen, dachte er, und der Gebetsruf eines Muezzins auf einem Minarett irgendwo über unseren Köpfen.
Er spürte ein leichtes Beben des Bodens unter seinen Füßen, und er wusste, dass es von den U-Bahn-Bauarbeiten in der Erde herrührte, aber es war auch etwas in ihm, etwas Ungehaltenes. Die Unruhe drang in ihn ein, blieb nicht draußen. Das Beben verstärkte die Anspannung, die er jedes Mal fühlte, bevor er einen Verdächtigen verhaftete. Die dünnen Haare auf seinem Handrücken standen ab wie elektrisiert, und er spürte sein Herz schneller schlagen; er spürte es unten im Hals und hinter den Ohren.
Der Commissaris und Gallo hielten sich in der Mitte der Schaulustigen. Sie ignorierten den matten Glanz von Silber und Messing, den Schimmer alter Uhren oder antiken Porzellans. Sie interessierten sich nicht für Vasen und Krüge und gefärbte Tücher. Sie interessierten sich auch nicht für exotische Früchte und billigen Modeschmuck. Ebenso wenig interessierten sie sich für Naturkosmetika in Tiegeln und Gläsern oder für die dampfenden türkischen, chinesischen oder indonesischen Gerichte, die rund um den Markt in Töpfen und Pfannen vor sich hin zischten.
Sie interessierten sich ganz allein für einen jungen Mann in einem schwarzen Anzug, den sie am Ende des Markts vor einem Stand mit Gewürzen neben seinem Vater stehen sahen. Sie interessierten sich für Shak Sharma, den sie festnehmen wollten.
»Da ist er, bei dem Stand vor dem Peperkorn, Hausnummer 150«, sagte Hoofdinspecteur Gallo, und dann sagte er es noch einmal in ein kleines Walkie-Talkie, um Brigadier Tambur und die uniformierten Polizisten zu informieren, die den Markt von der anderen Seite, aus der Richtung Van Woustraat, durchkämmten.
Radschiv Sharma stand leicht vorgebeugt im Schatten einer niedrigen Leinenmarkise und redete auf den Verkäufer hinter dem Gewürzstand ein. Dabei untermalte er jedes zweite Wort mit einer kleinen, aber heftigen Geste der rechten Hand. Sein safrangelber Turban schien das honigfarbene Licht aus der Luft aufzusaugen. Der Mann, mit dem er sprach, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte immer wieder den Kopf.
Shak bemerkte den Commissaris und Gallo, als sie ihn beinahe erreicht hatten. Für eine Sekunde wurde sein Gesicht fast grau, danach dunkel unter der Bräune. Sein Blick flog hin und her. Er wandte sich ab, drehte den Kopf, aber dann entdeckte er auch Julika und die uniformierten Polizisten auf der anderen Seite. Man konnte geradezu sehen, wie sich die Welt für ihn verlangsamte, wie sie weiter wegrückte, die Menschenmenge und die Marktbuden und alles um ihn herum. Der Himmel senkte sich herab, die Luft wurde dichter, und er
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