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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Gewürzen, die man nicht mehr verkaufen konnte, weil sie ihr Aroma verloren hatten ...«
    Als sie erzählte, was in der Halle vorgefallen war, kehrte der Commissaris zu seinem Stuhl zurück und setzte sich wieder. Der Raum, in dem er sich mit Gallo und Mirabal befand, trat in den Hintergrund; und er sah die Halle vor sich, die Dunkelheit und einen Mann, der durch diese Dunkelheit schlich.
    Er sah, wie der Mann sich leise an den Regalen entlangbewegte, immer wieder verharrte, um zu lauschen. Ein Feuerzeug sprang auf. Die Flamme beleuchtete das Gesicht von Amir Singh. Er hielt das Feuerzeug hoch, um die Beschriftung der Gewürzbehälter neben seinem Kopf lesen zu können. Er griff nach einer Dose im Regal und nahm sie heraus. Er steckte das Feuerzeug wieder ein. Im Dunkeln schraubte er die Verschlusskappe ab, griff in die Dose und holte ein in Zellophan gewickeltes Päckchen heraus. Er starrte das Päckchen an und rang mit sich. Dann knöpfte er hastig sein Hemd auf und schob das Päckchen hinein und gleich darauf noch ein zweites.
    Das ist Amir Singh im Moment seines größten Triumphs, dachte der Commissaris. Amir Singh, als er die Chance seines Lebens ergreift. Amir Singh kurz vor seinem Tod: die glatten, kühlen Päckchen dicht an seiner Haut erregten den Jungen, nein, den Mann, und er muss grinsen. Stolz blitzt in den dunkelbraunen Augen – ja, das schwellende, prickelnde Gefühl, ein richtiger Mann zu sein, der sein Leben in die Hand nimmt. Er ist siebenundzwanzig Jahre alt, und niemand kann ihm etwas vormachen; mit allen Wassern gewaschen und noch dazu die Seife erfunden.
    Er knöpfte das Hemd zu und blickte sich um, orientierte sich in dem schwachen Licht, dem Mondschein, der durch die Fenster oben in den Wänden fiel. Eine halbe Minute bis zum Rolltor, eine weitere Minute über den Platz vor der Halle, an Sharmas Trailer vorbei und dann durch eine lockere Stelle im Zaun. In den letzten Tagen hatte er nach einem Versteck gesucht und ein Hausboot am Kanalufer entdeckt, das verlassen schien.
    »Amir!?«
    Amir zuckte zusammen, als er plötzlich Pamits Stimme hörte. Er sah hoch, zur Balustrade, wo der Junge durch das Fenster zum Dach hereingekrochen kam und über die Balustrade lief, ein kleiner, flinker Schatten, der rief: »Shak, da ist Amir!« Jetzt kletterte Pamits Bruder durch das Fenster und beugte sich über das Geländer der Balustrade.
    »Sie waren auf dem Dach gewesen«, sagte Mira, »wo sie oft saßen und über den Fluss sahen, nicht nach Amsterdam – nach Bom-bay ...«
    Shak begriff sofort, was Amir um diese Zeit in der Halle wollte. Ich habe gewusst, dass er ein Spitzel ist , schrie er, ein Spitzel und ein Dieb! Er hat uns bestohlen, Pamit, er darf uns nicht entkommen! Er stieß seinen Bruder beiseite und lief die Balustrade entlang. Unter ihm rannte Amir zum Tor. Shak polterte die Eisentreppe hinunter, das Gestänge hallte unter seinen Tritten, und der Hall wurde von den Wänden zurückgeworfen, und beinahe hätte Amir es geschafft, aber Shak war schneller, der Zorn machte ihn so schnell, und beide waren fast gleichzeitig am Tor, und dort stürzten sie aufeinander los wie Kampfhunde.
    Amir wusste jetzt, dass es um sein Leben ging. Er erinnerte sich daran, wie er im Gefängnis gekämpft hatte. Alles, was er dort gelernt hatte, fiel ihm wieder ein, dass man schnell und hart zuschlagen musste und dass die ersten Schläge einen Kampf entschieden, und obwohl Shak größer und kräftiger war, ging er zu Boden, und dort trat Amir auf ihn ein, ohne auf Pamit zu achten, der immer wieder schrie: Hört auf, hört auf, hört doch auf!
    Aber Amir hörte nicht auf, nicht sofort, erst als Shak sich nichtmehr rührte. Ein wildes, schrilles Gefühl stieg in ihm auf. Er stürzte zum Rolltor. Am Tor drehte er sich kurz um und sah, dass Pamit die Eisenstufen der Treppe herunterstolperte. Er sah, wie Pamit mit einem geschmeidigen Satz die letzten Stufen übersprang, aber dann sah er nichts mehr, denn er zwängte sich durch den Spalt im Rolltor auf den Hof, und draußen rannte er über den Hof, und die Päckchen unter seinem Hemd störten ein bisschen beim Laufen, aber nicht sehr, und dann hatte er auch den Zaun hinter sich gelassen, und draußen rannte er im körnigen Licht der weit auseinanderstehenden Laternen die Straße entlang, rannte im staubschweren Wind über leere Parkplätze und vorbei an dunklen Verwaltungsgebäuden, rannte durch Gassen, deren Namen er nicht kannte, über die Motorkade, die Spijkerkade, die

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