Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
Schaafstraat in die Vogelkade.
    Kurz fing er vielleicht Musikfetzen auf, ein dumpfes Hämmern, Stripteasemusik, Sexmusik, aus irgendeinem Cabaret oder Club in einem Hinterhof, vielleicht das Paradise Club of the Year oder das Erotisch Café Cattier, aber er rannte weiter, geduckt, an den Schrebergärten entlang auf den Wald zu, bis er hinter den Türmen und Silos der Raffinerie den Weg erreichte, der zum Kanal führte, und wenn er erst mal am Kanal war, hatte er es geschafft, dort holte ihn keiner mehr ein, von da aus konnte er ruhig zu dem Boot gehen und sich auf dem Wasser verstecken.
    Er rannte fast die ganze Strecke, ohne sich umzuschauen und ohne auch nur im Geringsten außer Atem zu kommen. Eins der Päckchen war halb aus dem Hemd gerutscht, und er blieb hinter einem am Kanalufer parkenden Wohnmobil stehen, öffnete die Knöpfe und holte beide Päckchen heraus. Betrachtete sie. Seine Zukunft .
    Van Leeuwen kehrte in die Gegenwart zurück. »Woher wissen Sie, dass es Shak und Pamit waren, die Amir überrascht haben?«, fragte er.
    »Pamit hat es mir erzählt«, sagte Mira, »jedenfalls das meiste davon, auf seine Art. Er wird immer noch ganz aufgeregt, wenn er daran denkt, und dann redet er durcheinander, und nichts, was er sagt, ergibt mehr irgendeinen Sinn.« Sie schwieg. Sie starrte auf diegrüne Wand des Verhörraums, und einen Moment lang hatte Van Leeuwen das Gefühl, die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, fassen zu können. Er musterte sie genau, wollte nicht nur hören, was sie erzählte, sondern wollte wissen, was sie dachte. Aber dann kam er wieder nicht darauf, was es sein konnte; er wusste nur, es war nichts Gutes.
    »Wo war Radschiv Sharma zu der Zeit?«, fragte Gallo.
    Mira wandte den Kopf, ihre Augen suchten seine Gestalt in der Dunkelheit. Unvermittelt erinnerte ihr Blick Van Leeuwen an eine grauäugige Wölfin, leer, aber wachsam. Gefährlich, wenn ihr Revier bedroht wurde. »Er hat geschlafen. Wir haben beide geschlafen, in seinem Wohnwagen. Es war ja spät, weit nach Mitternacht.«
    »Sie haben gesagt, dass Shak Rauschgift schmuggelte, hätten Sie in der Nacht erfahren, in der Amir starb«, sagte der Commissaris. »Wann war das?«
    Sie schloss einen Herzschlag lang die Augen, dann war der Wolfsblick verschwunden. »Wir hatten schon geschlafen, als plötzlich jemand an die Tür des Wohnwagens hämmerte. Radschiv wurde zuerst wach und war schon am Fenster, bevor ich die Augen öffnete. Er stand auf und ging hinaus, im Schlafanzug. Er schloss die Tür schnell wieder, aber das Bett steht direkt am Fenster, und ich brauchte mich bloß aufzurichten, um hinausschauen zu können, und da sah ich Shak im Dunkeln, wie er auf seinen Vater einredete und dabei mit den Händen herumfuchtelte. Er redete eine ganze Zeit lang, bis Radschiv ihn auf einmal schüttelte und rief: Was ist das, ist das Blut? Was hast du da überall, Blut?!
    Ich konnte nichts erkennen, weil es so dunkel war, und dann rief Shak: Schrei doch nicht so! Willst du, dass alle uns hören können?! , und dann brüllten sie sich in einem Dialekt an, den ich nicht verstand, bis sie ihre Stimmen wieder dämpften und ganz leise sprachen. Aber ich sah, wie Shak schwitzte, das Haar hing ihm nass ins Gesicht, und ich hörte den Namen Amir , und dann hörte ich wieder eine Zeit lang nichts, bis Radschiv plötzlich aufschrie. So hatte ich seine Stimme noch nie gehört, so voller Zorn und Schmerz zugleich.«
    Miras Stimme brach erneut, und kurz sah es so aus, als wäreihr Kopf auf einmal zu schwer für ihre Schultern und könnte jeden Augenblick nach vorn oder hinten kippen. »Und dann ... dann wandte er sich jäh von Shak ab und beugte sich vor, als müsste er sich übergeben, aber er weinte nur. Er weinte, und es hörte sich an – ich habe noch nie einen Mann so weinen hören, so als wäre er kein Mensch mehr und wollte auch keiner sein. Er stemmte die Hände gegen die Oberschenkel und blieb eine ganze Zeit lang so stehen, schwankend, vorgebeugt, bis er sich endlich wieder aufrichtete, sich über das Gesicht fuhr und sich zu seinem Sohn umdrehte und ihn in seine Arme zog.«
    Mirabal schwieg. Sie schwieg so lange, dass Van Leeuwen den Eindruck hatte, es mangelte ihr einfach an der Kraft, weiterzureden. Aber dann sagte sie: »Ich wusste nicht, was passiert war. Ich wusste nur, es musste etwas Schreckliches gewesen sein, und Shak hatte es getan. Ich sah es später an Radschivs Gesicht, als er zurückkam und sich auf die Bettkante setzte und

Weitere Kostenlose Bücher