Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
schien zu schwanken wie ein junger Baum unter einem jähen Windstoß. Im nächsten Moment war der Commissaris bei ihm und sagte: »Mijnheer Sharma – Shak Sharma, Sie sind vorläufig festgenommen.«
Sein Vater fuhr herum, erfasste die Situation mit einem einzigen langen Blick seiner grünen Augen und fragte scharf: »Festgenommen, mein Sohn? Weswegen?«
»Mord«, antwortete Van Leeuwen, »an Amir Singh.«
»Dafür haben Sie keine Beweise«, sagte Radschiv Sharma hastig und griff nach den Handschellen, die Gallo von seinem Gürtel gelöst hatte. Er packte sie und hielt sie fest. »Er war es nicht. Er hates nicht getan.« Er sah erst Gallo an, dann Van Leeuwen, mit seinen brennenden Augen. » Ich war es. Ich habe Amir Singh getötet.« »Vater!«, rief Shak überrascht.
Gallo errötete, es begann an seinem Hals und wanderte über die Schläfen zur Stirn hinauf: Zorn, den er unter Kontrolle zu hal-ten versuchte. Rasch löste der Commissaris Sharmas Finger von den Handschellen. »Mijnheer Sharma, wir haben die unterschriebene Aussage von Mevrouw Mirabal Halawi, derzufolge Ihr Sohn Shak –«
»Sie lügt! Sie war nicht dabei, sie weiß gar nichts!« Auf Sharmas Stirn schwoll eine blaue Ader an, so sehr, dass man ihr Pochen unter der Haut sehen konnte, und seine Stimme wurde lauter, als müsste er das Pochen in seinem Kopf übertönen. »Verhaften Sie mich . Ich habe Amir Singh getötet, weil er ein Dieb war. Er hatte den Tod verdient.«
Hoofdinspecteur Gallo schüttelte den Kopf. »Sie haben Singh nicht ermordet«, sagte er. »Sie behindern eine polizeiliche Maßnahme, Mijnheer Sharma, und wenn Sie –«
»Warum habe ich ihn nicht ermordet?«, fragte Sharma heftig. »Weil ich ein alter Mann bin oder ein guter Mensch? Weil ich nicht weiß, wie man ein Messer benützt? Oder wie man seine Familie und seine Firma beschützt? Was wollen Sie noch?! Ich gestehe. Ich bekenne mich schuldig! Was noch?! «
Er redete so laut, weil er dachte, man könnte ihn sonst nicht verstehen; Van Leeuwen kannte das. Sharma sah ihn, und er sah Hoofdinspecteur Gallo und seinen Sohn, und er sah auch die Menschen ringsumher, die vorbeidrängten, lachten, sich anrempelten. Aber er konnte sie kaum hören, er hörte nur ein Rauschen, das alle anderen Geräusche zu verschlucken schien. Oder ein feines, helles Pfeifen, das lauter und eindringlicher wurde, den Klang der drohenden Gefahr für seinen Sohn. Er hatte sogar Mühe, seine eigene Stimme zu hören, deswegen redete er so laut.
Der Commissaris sagte: »Gut, wenn Sie es so wollen, dann kommen Sie mit, Mijnheer Sharma. Sie sind festgenommen. Leg ihm die Dinger an, Ton.«
Gallo rührte sich nicht. Auch Julika und der uniformierte Polizist schienen nicht zu verstehen, was sich vor ihren Augen abspielte, als Van Leeuwen Gallo die Handschellen abnahm und sie Radschiv Sharma anlegte. Die Unterarme des alten Inders waren dünn, aber die Haut war straff, und die Hände zitterten nicht. »Begleiten Sie uns bitte zu unserem Wagen, Mijnheer Sharma!«
»Vater«, sagte Shak noch einmal verwirrt.
»Ruhig«, sagte sein Vater.
Der Gewürzverkäufer, mit dem sie gesprochen hatten, rieb sich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger über den Hals. Gallo trat dicht an Van Leeuwen heran. »Kann ich dich kurz sprechen, Bruno?«
Der Commissaris nickte und ging ein paar Schritte, und hinter dem Gewürzstand blieb er stehen. »Was geht hier eigentlich vor?«, wollte Gallo wissen.
»Wir verhaften Radschiv Sharma«, sagte Van Leeuwen. »Er hat es nicht getan.«
»Ich weiß.«
Gallos Augen wirkten feuchter als sonst, aber er war nicht mehr wütend. »Was ist mit Shak? Sollten wir ihn nicht wenigstens auch mitnehmen? Eine Zeugin hat ihn beschuldigt, das reicht, um ihn zweiundsiebzig Stunden festzuhalten.«
»Ich weiß.«
Gallo wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf. Er blinzelte in das schräg einfallende Nachmittagslicht.
Der Commissaris sagte: »Ton, wenn wir beide festnehmen, manövrieren wir uns in eine Sackgasse. Dann leugnet der eine weiter, während der andere die Tat gesteht, beide lügen, und wir müssen einen wieder laufen lassen, und das wird der wahre Mörder sein. Aber wenn wir Radschiv nachgewiesen haben, dass er unmöglich der Täter sein kann, bleibt nur Shak übrig, und es gibt niemanden mehr, hinter dem er sich verstecken kann.«
»Und wie willst du das anstellen?«
Van Leeuwen sagte: »Ruf Doktor Holthuysen an, und sag ihm, er soll in einer Stunde bei dem Hausboot sein, auf dem wir
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