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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Justiz, dachte Van Leeuwen.
    Er überschlug den Rest der Caprichos , um sich den Desastres zu widmen, den Schrecknissen aus den napoleonischen Kriegen. Er betrachtete die Frauen von Saragossa, die sich mit dem Mut rasender Wölfinnen auf französische Infanteristen warfen und mit Messern, Lanzen und erbeuteten Säbeln ein Massaker unter ihnen anrichteten, ihre Kinder mit dem freien Arm an sich gedrückt. Eine dieser Frauen, Agustina Aragón, war für ihren gefallenen Mann an die Kanone gesprungen, um die belagerte Stadt zu verteidigen. Breitbeinig stand sie in ihrem fließenden weißen Gewand auf einem Leichenberg und hielt die brennende Lunte an das Pulver.
    Van Leeuwen betrachtete die beiden französischen Infanteristen, die einen mit Armen und Beinen an eine Zypresse gefesselten Gefangenen in den Rücken schossen, wohlwollend beobachtet voneinem sitzenden Offizier. Auf dem nächsten Bild versuchte ein Soldat mit einer Fellmütze eine Spanierin zu Boden zu werfen, um sie zu vergewaltigen, es sah aus, als wollte er nur mit ihr tanzen, als sei er nur ein wenig aus dem Takt geraten, wäre da nicht ihr zum Schrei aufgerissener Mund gewesen und die Hand, mit dem sie ihm das Gesicht zerkratzte.
    Ein Bild weiter fiel spanischer Pöbel – ein vielgestaltiges Ungeheuer aus Männern, Frauen und Kindern – über einen nackten, an den Füßen gefesselten Kollaborateur her und rammte ihm einen abgebrochenen Stock in den After. Leidenschaftlich wurde der Tod gegeben und ebenso inbrünstig empfangen.
    Van Leeuwen betrachtete an Bäumen Erhängte mit heruntergerutschten Hosen; sterbende Mönche, die mit letzter Kraft den Leib des Herrn gegen die plündernde Soldateska verteidigten; auf splitternde Äste gerammte Kadaver.
    Er betrachtete die zahllosen Toten, niedergestreckt von Messern und Äxten, Kanonenkugeln, Säbeln, Bajonetten, Stricken und bloßen Händen oder, wenn sie Glück gehabt hatten, rasch und sauber von einer Kugel aus einer französischen Gießerei oder einer spanischen Pulverfabrik.
    Er betrachtete verstümmelte Leichen, die Gesichter mit schwarzem Blut bedeckt, über denen flatternde Krähen den Himmel verdunkelten. Wilde, fleischfressende Köter streunten knurrend zwischen den Leichen, stöbernd, schnüffelnd, jaulend.
    Er betrachtete die Hände der Toten, Hände, rissig, schmutzig, mit Erde und Blut unter den Nägeln, abgeschnitten, halbiert oder geviertelt, mit und ohne Finger. Auch Augen gab es und Ohren, ganze Köpfe, allerdings abgehackt und natürlich tot, alle tot.
    Van Leeuwen wusste wohl, es gab auf der Erde alle möglichen Arten zu sterben, aber niemals gab es denselben Tod zweimal, es gab nur das Echo eines anderen, eine leicht bis stark abweichende Kopie. Jeder einzelne dieser Tode aber war sinnlos, das hatte er von Goya gelernt, alle Menschen starben, welchen Grund sie auch zu haben glaubten, für nichts, für das schwarze, höhnische nada – ob ermordet, von einer Seuche hinweggerafft, an Krankheit oder Hunger. Siewurden in Gräben und Kuhlen zusammengetragen, zu Knochenbergen aufgehäuft, wie Vieh von Bulldozern schaufelweise ins Feuer geworfen. So viel zur Menschheit, dachte Van Leeuwen.
    Müde klappte er den Band zu und legte ihn neben dem Bett auf den Boden. Er hatte kein Opfer gefunden, das dem Jungen im Vondelpark auch nur annähernd ähnelte. Und keinen Schlächter, der so aussah, dass er sich den Mörder des Jungen vorstellen konnte. Er schloss die Augen, um noch einen Moment lang nachzudenken, und war schon eingeschlafen, als er noch glaubte, nie mehr Schlaf zu finden.
    Selten suchten ihn in seinen Träumen die Geschöpfe Goyas heim – auch wenn er sie vor dem Einschlafen lange betrachtet hatte –, was daran liegen mochte, dass er schon tagsüber von ihnen umgeben war. Dafür kehrte in regelmäßigen Abständen ein anderer Traum wieder, immer dieselben Bilder.
    Er kletterte eine Leiter hinauf, und er sah das Kind schon fallen, obwohl es noch im Fenster stand. Wie immer presste es den Stofftiger gegen die Brust. Es trug die braune Kapuzenjacke über dem Nachthemd. Das Fauchen des Feuers wurde mit jeder Sprosse, die er hochstieg, lauter. Van Leeuwen schaute nicht nach unten. Er blickte nach oben und achtete auf den Wind, der das Löschwasser wie Sprühregen auf ihn zutrieb und die Leiter schwanken ließ. Er blinzelte, um seine Augen gegen die Hitze zu schützen. Sie tränten vom Rauch und von der Glut, aber er kletterte weiter, die Beine und Hände nahmen die Sprossen automatisch. Ich

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