Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Luft, den Geruch des Wassers, den Glanz des Lichts.
Er war nicht der Einzige, der Angst hatte. Die Schlagzeilen der Zeitungen, auch der seriösen, schrien die allgemeine Angst hinaus und heizten sie an. An Litfaßsäulen, Hausmauern und Baumstämmen klebten Plakate, rote Hilfeschreie auf schwarzem Grund: »Helfen Sie der Polizei, den Kindermörder zu stoppen !« – »Helfen Sie mit, weitere Morde zu verhindern !« – »Halten Sie die Augen offen !« – »Er ist unter uns !« – »Ist der Mörder Ihr Nachbar ? Ihr Arbeitskollege ? Der Mann neben Ihnen – im Bus, am Tresen, in der ArenA ?« – »Wer ist der Kannibale von Amsterdam ?« – »Wer wird das nächste Opfer des Kannibalen ?« – »Wann schlägt er wieder zu ?«
Klein, dunkle Haut, Zahnlücke, Blutgruppe B , alles, was der Hoofdcommissaris im Fernsehen ausgeplaudert hatte, fand sich auch in den Aufmachern der Zeitungen, den Leitartikeln und Kommentaren. Eine Phantomzeichnung prangte auf jeder Titelseite, und sofort wusste Van Leeuwen, dass der Mörder so nicht aussah. Er kaufte ein paar Zeitungen, Telegraaf, Handelsblad, Het Parool, De Volkskrant, aber er konnte nicht alle kaufen, jedes einzelne Exemplar, um zu verhindern, dass die Angst sich weiter ausbreitete.
Es war ein heißer Tag, und die Angst mochte Hitze. Sie gedieh gut, wenn es heiß war.
Wieder zu Hause, überflog der Commissaris die Berichterstattung in der Presse. Die Artikel waren unterschiedlich in Stil und Niveau, auch ihre Schlussfolgerungen unterschieden sich, aber alle endeten mit der gleichen Forderung – Commissaris Bruno van Leeuwen sollte wieder auf den Fall angesetzt werden; er und niemand sonst sollte die Leitung der Ermittlungen übernehmen, den wahnsinnigen Mörder zur Strecke bringen.
Wer ist der Kannibale von Amsterdam ?
Den ganzen Tag über klingelte das Telefon, bis Van Leeuwen den Stecker aus der Buchse zog, weil das ständige Klingeln seine Frau beunruhigte. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, sie zu beschäftigen,und er schämte sich, dass er immer ungeduldiger wurde. Er konnte nichts dagegen tun, sein Zorn war zu groß. Am schlimmsten war, dass er dem Zorn kein Ziel geben konnte, kein Ventil. Gegen Abend stöpselte er den Apparat wieder ein, denn er wollte einen Termin mit Professor Pieters verabreden, um das durch Deniz Aylans Tod unterbrochene Gespräch fortzusetzen.
»Professor Pieters ist bis auf weiteres verreist«, erklärte die Vorzimmerdame, nachdem Van Leeuwen gesagt hatte, weswegen er anrief.
»Wann erwarten Sie ihn zurück ?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Der Professor hinterlässt nie, wie lange er fortbleibt.«
»Ah ja, und wohin ist er verreist ?«
»Auch das entzieht sich meiner Kenntnis«, sagte die Vorzimmerdame, aber diesmal klang ihre Stimme weniger aufrichtig. »Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, wird sein Name immer wieder im Zusammenhang mit der diesjährigen Verleihung des Nobelpreises für Medizin genannt, und manchmal zieht er sich einfach eine Zeit lang zurück, wenn ihm der Medienrummel zu viel wird.«
»Hat er etwas für mich hinterlassen ?«, fragte Van Leeuwen.
»Leider finde ich hier nichts für Sie, Mijnheer van Leeuwen.«
Mir würde der Medienrummel auch zu viel, dachte der Commissaris, vor allem wenn mein Name im Zusammenhang mit einer Morduntersuchung genannt wird. »Haben Sie vielen Dank«, sagte er. »Und bitte notieren Sie, er möchte sich gleich nach seiner Rückkehr bei mir melden.«
Kaum hatte er aufgelegt, klingelte das Telefon wieder, und nach kurzem Zögern meldete er sich. »Ja ?«
»Schalt den Fernseher ein«, sagte Ton Gallo.
»Welchen Kanal ?«
»Das Spiel Ajax gegen Juventus.«
Die Amsterdam ArenA, das Clubstadion von Ajax, erstrahlte im Licht starker Scheinwerferbatterien. Es sah aus wie ein eben gelandetes Ufo unter einem bläulich leuchtenden Nachthimmel. Das Spiel hatte noch nicht angefangen. Die Fernsehkameras zeigten denleeren Rasen, die beiden Tore und die fünfzigtausend Zuschauer, die sich im künstlichen Licht auf den Rängen drängten und Fahnen mit den Farben von Amsterdam und Turin schwenkten. In den Kurven schunkelten die Schlachtenbummler in Wellen hin und her. Dabei sangen sie Guantanamera .
Van Leeuwen hatte das Telefon mit ins Wohnzimmer genommen. »Und ?«, fragte er.
»Hörst du, was sie singen ?«, sagte Gallo.
»Diese olle Kamelle, Guantanamera «, sagte Van Leeuwen.
»Nein, das ist nur die Melodie. Du musst auf den Text achten.«
Van Leeuwen versuchte zu
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