Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Rhythmus der Trommeln an, er erfüllt meinen Brustkorb wie eine hallende Muschel, und ich merke, dass er nicht mehr mir gehört. Statt Panik empfinde ich Euphorie. Ich bin offen für alles, so wie ein Kind offen ist, denn alle meine früheren Erfahrungen scheinen ihre Bedeutung verloren zu haben.
Die Dunkelheit fällt schnell herab. In dem Süßkartoffelgarten hinter den Hütten brennt ein großes Feuer, entzündet aus den Fackeln der gut dreißigköpfigen Menge. Mehrere der am Feuer sitzenden jungen Frauen halten Trommeln im Schoß, als wollten sie sie wiegen. Ihre Hände scheinen die Trommeln kaum zu berühren, doch der dumpfe Klang ergreift mehr und mehr Besitz von uns allen.
Die hohlen Schläge dringen über das Dorf hinaus in den schwarzen Busch jenseits der Hütten und steigen mit dem Rauch empor zum Dach der Welt. Eine kleine Gruppe halb nackter Frauen, die eingeölten Körper glänzend im Flammenschein, nähert sich dem Garten vom Rand der Lichtung. Auch Keo ist unter ihnen. Auf den Schultern tragen sie den Körper seiner toten Mutter und der anderen Toten. Der Kopf der zweiten Frau ist mit Bananenblättern zusammengebunden und wirkt unversehrt.
Sie legen die nackten Leichen neben dem Feuer nieder. Jetzt verstummen die Trommeln, und auch die Flöten schweigen. Stille legt sich über den Garten, nur das Knacken von Holz in der Glut ist zu hören. Alle Frauen und Kinder sehen zu, wie die Schwestern und Töchter der Toten mit glasscharfen Messern aus gespaltenem Bambusrohr auf die beiden Leichname zutreten und anfangen, sie für das Fest zu zerlegen.
Das Knistern der Flammen steigt mit den Funken und dem dünnen Rauch in den dunklen Himmel, die Hitze nimmt mir die Luft zum Atmen. Eine der jungen Frauen setzt das Bambusmesser am Handgelenk von Keos Mutter an, hält den Unterarm fest und schneidet die Hand ab. Haut und Sehnen lassen sich leicht zerteilen, aber die Knochen und die harten Knorpel bereiten ihr Mühe. Die junge Frau beginnt zu sägen. Die Muskeln ihrer Oberarme und über ihren Brüsten sind gespannt.
Eine zweite junge Frau schneidet die andere Hand ab. Die Fore-Frauen rings um das Feuer lassen sie nicht aus den Augen. Im Widerschein der tanzenden Glut wirken sie wie zu schnell gealterte Kinder. Sie kauern da, gespannt vor Gier, und lecken sich in höchster Erregung über die Lippen. Die beiden Frauen, es sind Schwestern
der Toten, reichen die abgeschnittenen Hände an eine ältere Frau weiter, die sie vor sich auf die Erde legt. Bei ihr muss es sich um die Mutter handeln. Danach wenden sich die jungen Frauen den Füßen der Toten zu und schneiden auch diese ab. Die Füße bekommen die Töchter und Schwiegertöchter.
Als Nächstes schlitzen die Frauen die Haut an Armen und Beinen auf, zerteilen das Fleisch, trennen die Muskeln von den Knochen und verteilen sie an Verwandte und Freunde. Sie öffnen die Brust, schneiden die Leber heraus, dann das Herz; es ist noch schwer und dunkelrot von geronnenem Blut.
Keo erhält das Herz. Behutsam legt er es vor seinen gekreuzten Beinen auf einige Bananenblätter.
Der Körper der toten Frau wird immer kleiner. Dass sie auf grauenvolle Weise an einer schrecklichen, unbekannten Krankheit dahingesiecht ist, scheint keinem der Anwesenden etwas auszumachen.
An der zweiten Toten vollzieht sich in der Zwischenzeit dasselbe Ritual. Zum Schluss durchtrennt eine junge Frau Kehlkopf und Speiseröhre, sägt den Knorpel zwischen den Halswirbeln durch, zerschneidet das Rückgrat und reicht den Kopf an eine andere Frau weiter. Diese zieht geschickt die Kopfhaut ab, greift nach einer bereitliegenden Steinaxt, zertrümmert den Schädel und löffelt die weiche, matt glänzende Gehirnmasse in eine Bambusröhre vom Umfang einer Wein flasche.
Jede der Frauen in der Menge hat so eine Bambusröhre, in die sie das ihr zugeteilte Stück Fleisch vom Körper der beiden Toten schiebt, um es zusammen mit Salz, Ingwer und Blattgemüse im Feuer zu schmoren. Sofort verändert sich die Farbe der Flammen, statt rot brennen sie jetzt auch bläulich und violett. Der Rauch wird dichter und schwerer; fast schwarz breitet er sich über der Lichtung aus.
In der Hitze der Glut spannt sich der Bambus, er knackt und scheint zu pfeifen und zu singen. Kleine Flämmchen lecken an den Kochröhren. Die Silhouetten der Frauen sind zuckende Schatten, ihre Augen glitzern wie die von Besessenen. Sobald eine glaubt, das Mahl in ihrer Röhre sei gar, reißt sie es aus dem Feuer und verschwindet damit in der
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