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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Mutter mit dem Tode ringt. Sie stirbt noch am selben Tag, und auf mein inständiges Bitten hin erlauben mir Keo und
    sein Vater, dass ich der Toten das Gehirn entnehme. Sie haben sie gesäubert, sie liebevoll mit Kalk bemalt und ihr ein letztes Mal ihren ganzen Muschelschmuck angelegt. Ich erkläre ihnen, dass wir nur auf diese Weise einen Gegenzauber finden können, der vielleicht den Fluch von den Fore-Frauen nimmt. Allerdings weigert sich der Mann der Toten, mir bei der Obduktion zur Hand zu gehen. Allein Keo erklärt sich bereit, mir zu helfen.
    Um es nicht zu beschädigen, öffne ich den kleinen Schädel der Toten im Gaumenbereich und hole das Gehirn mit einer Hand wie mit einer Schaufel aus der Knochenschale, bevor ich es in das bereitgestellte Glas mit Formalin gleiten lasse. Keo beobachtet mich genau, wie ein Medizinstudent seinen Professor. Es scheint ihm überhaupt nichts auszumachen, dass es sich um seine Mutter handelt. Ich merke, dass er mir vertraut wie einem älteren Freund, der ihn in die Geheimnisse des Lebens und des Todes einweist. Er ist sehr tapfer. Und so schön.
    Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, was für ein Leben Keo bevorsteht. Schon Kinder werden hier in Kriegsführung unterrichtet, darin, wie man kämpft und einen Feind tötet. Nur wenige Kilometer von unserem Dorf entfernt, jenseits eines reißenden Flusses mit
    Namen Lamari, leben die Kukukuku, die sich für die einzigen wahren Ureinwohner halten – ein wilder, herrischer Stamm, die Apachen Neuguineas. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Kukukuku die Fore überfallen oder umgekehrt. Was wird dann aus Keo ?
    Auf der anderen Seite gibt es bei den Fore eine Fülle farbiger Riten und eine fast grenzenlose Freiheit, die ausschließlich den Männern zugutekommt. Einem Jungen wie Keo, dessen Sexualität erwacht, wird jede Erfahrung geschenkt, die er sich nur wünschen kann: die sexuelle Begegnung mit anderen Jungen oder älteren Männern; die Möglichkeit, mit einer oder mehreren Frauen, gleich welchen Alters, zu schlafen und zu leben; den Rausch der Liebe und der Sinne mit psychogenen Pilzen oder Wurzeln zu steigern, und all das, ohne dass jemand urteilt, wertet oder Vorhaltungen macht.
    Ein Paradies, vielleicht das letzte dieser Erde.
    Keo kommt zu mir ins Zelt, ganz aufgeregt, weil heute Abend seine Mutter und eine weitere Tote beerdigt werden. Es scheint eine Zeremonie zu sein, auf die sich alle freuen. Keo erweist mir eine besondere Ehre. Er lädt mich ein, der Bestattung beizuwohnen. Sein Blick ist voller Stolz und Erregung, als würde heute etwas mit ihm geschehen, was ihn für immer verändert. Aber da schwingt noch eine andere Saite mit; seit wir gemeinsam das Gehirn seiner Mutter entnommen haben, verbindet uns etwas, das nur wir teilen – Respekt, eine Komplizenschaft, vielleicht mehr. Er reicht mir eine Betelnuss und Kalk, damit ich mich auf das nächtliche Fest vorbereiten kann.
    Ich schaue ihm nach, als er mein Zelt wieder verlässt. Die Muskeln seines Gesäßes mit dem Lederstreifen in der Mitte spannen sich bei jedem Schritt. Ich betrachte ihn, ich betrachte die anderen Männer und Frauen, die mich so freundlich aufgenommen haben und die mir so sehr vertrauen, dass sie mich Zeuge ihrer geheimsten Rituale werden lassen, und ich zittere vor Glück. Ich bin gekommen, um ihnen zu helfen, stattdessen werde ich reich beschenkt. Es ist ein grenzenloses Gefühl, erfüllt von Liebe und tiefer Freundschaft.
     
    Der Commissaris hörte ein Geräusch, nahm es aber nur mit dem Unterbewusstsein wahr. Gefangen von Pieters’ Bericht, war ihm, als befände er sich selbst bei dem Anthropologen im Dorf der Fore, als sei er angesteckt von dessen Besessenheit, dessen schleichendem Wahnsinn.
     
    Es ist ein heißer Tag, der heißeste, seit ich bei den Fore bin. Das Atmen fällt schwer; auch der Wind bringt keine Erleichterung. Die Sonne brennt durch einen kupfernen Dunst von dem niedrigen Himmel, und alles riecht angesengt, als könnte es sich jeden Moment selbst entzünden. Gegen Abend höre ich ungewöhnliche Geräusche – Bambusflöten und Trommeln, die sich in das Gurren, Meckern und Gackern aus dem Busch mischen, dazu ein eiliges Trampeln.
    Ich verlasse mein Zelt. Die Fore rotten sich zusammen, sie tragen Fackeln in den Händen. Aber ich sehe nur Frauen und Kinder, weder Männer noch die älteren Jungen. Ich schließe mich der Menge an, halte mich jedoch im Hintergrund, denn ich will nicht stören. Mein Herzschlag passt sich dem

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