Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
verschwindet mit einem Satz aus dem Feuerkreis.
Hinter ihm, kaum sichtbar in der grauweißen Nacht, erscheint im selben Moment eine Schar weiterer Männer, die im Gegensatz zu dem Verschwundenen mit Speeren und Äxten bewaffnet sind. Ohne Zweifel sind sie auf Menschenjagd, aber uns lassen sie in Ruhe. Es ist unsere erste Begegnung mit dem als friedlich und liebenswürdig bekannten
Stamm der Fore. Erst später werde ich begreifen, was es mit der Wunde am Bauch des Mannes auf sich hat. Ich frage meine Bois, was er gerufen hat, aber es scheint, als hätten sie die Sprache verloren.
Der Commissaris versank in der Lektüre. Er dachte nicht mehr daran, wo er war, und er vergaß, auf die Uhr zu schauen. Er las.
Gegen Mittag des nächsten Tages erreichen wir endlich unser Ziel, das Dorf der Fore, wo wir so freudig begrüßt werden, als wäre die Begegnung der vergangenen Nacht nur ein böser Spuk gewesen. Kleine, muskulöse Schwarze mit dichten Locken drängen sich um mich, sie lachen und weinen gleichzeitig. Sie tragen Halsketten aus Schweinezähnen und einen Lendenschurz aus Rinden- oder Grasgeflecht. Manche der Männer verzichten sogar auf den Lendenschurz und schmücken sich stattdessen mit einer Art Phallushülle aus Muscheln oder aus dem Schnabel des Nashornvogels. Ihre Haare sind mit Federn und Perlen verziert. Die Frauen sind genauso nackt wie die Männer, nur ein Grasröckchen bedeckt ihre Scham. Einige von ihnen tragen Halsbänder mit den kleinen, verschrumpelten Händen verstorbener Babys. Die Finger sind nicht einmal so groß wie Bohnenschoten.
Mit vor Aufregung zitternden Händen betasten sie mich, denn
sie haben noch nie einen Weißen gesehen und halten mich für einen
Verwandten, der von den Toten auferstanden und zu ihnen zurückgekehrt ist. Mit Hilfe meiner Bois erkläre ich ihnen, dass ich ein Doktor von jenseits der Berge bin und nach ihren Kranken sehen will. Ein aufgeweckter, besonders hübscher Junge bietet mir an, mich zu ihnen zu führen. Er ist elf Jahre alt und heißt Keo.
Auf dem Weg zu den kranken Frauen frage ich Keo nach den Symptomen der Krankheit, die sie Kuru nennen. Obwohl ich kein Wort von dem verstehe, was er sagt, sprechen seine Gesten Bände, und ich frage mich, ob ich noch immer von Fieberphantasien heimgesucht werde. Entweder das, oder ich bin hier im abgelegensten Hochland von Neuguinea einer medizinischen Sensation auf der Spur.
Kuru bedeutet so viel wie Zittern , und erst dachten die Angehörigen der Kranken, sie zittern vor Angst oder vor Kälte. Aber dann erkannten sie, dass das Zittern nicht mehr aufhörte und unausweichlich zum Tod führte, als hätte jemand sie mit einem Fluch belegt.
Die an Kuru erkrankten Frauen fingen an zu torkeln und konnten irgendwann überhaupt nicht mehr gehen. Sie verloren die Fähigkeit, zusammenhängend zu sprechen, und grinsten vor sich hin. Auch schlucken konnten sie bald nicht mehr, sie wurden aber trotzdem immer dicker, und das Ende – klostu dai nau, wie es hier in Pidgin genannt wird, was so viel bedeutet wie close to die now – geht meistens mit einer Lungenentzündung einher.
All diese Symptome erinnern mich stark an Creutzfeldt-Jakob, aber ich kann nicht glauben, dass es hier, wo die Menschen noch in der Steinzeit leben, bereits eine Krankheit geben soll, die bei uns erst vor hundert Jahren zum ersten Mal aufgetreten ist. Die Kranken – es sind vier – leben nicht mit den anderen Frauen des Stammes im Frauenhaus, sondern etwas abseits in einer kleinen Hütte. Offenbar werden nur Frauen und Kinder Opfer dieser geheimnisvollen Krankheit, keine Männer.
Ob es damit zu tun hat, dass bei den Fore Männer und Frauen getrennt leben ? Es gibt in jedem Dorf ein Frauenhaus und ein großes Männerhaus, in dem die Männer und die älteren Jungen zusammen wohnen, denn die Männer sind der Meinung, der Kontakt mit den Frauen raube ihnen ihre Kraft. Männer und Frauen begegnen sich nur zum Geschlechtsakt unter freiem Himmel.
Auch beim Essen herrscht eine klare Rangordnung. Wenn ein Schwein geschlachtet wird, steht den Männern das beste Stück zu. Der Rest wird nach Verwandtschaftsgrad verteilt, wobei für viele Frauen oft nichts mehr abfällt. Auch die im Wald mit Fallen oder Pfeil und Bogen erjagten kleinen Tiere wie Vögel, Eidechsen und Opossums beanspruchen die Männer für sich.
Die Frauen sind auf Kuchen aus Yamswurzeln oder Bohnen, Kartoffeln und Zuckerrohr angewiesen, die sie selbst anbauen müssen. Über dem Feuer
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