Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
manchmal besucht, meistens, wenn er wieder was brauchte, und weil er ihr Sohn war, hat es auch nie Schwierigkeiten gegeben.«
Van Leeuwen wurde unruhig, wie immer, wenn ein Fall eine Wendung nahm, die ihm nicht gefiel. Im Universitätskrankenhaus war Simone zuletzt untersucht und behandelt worden, und noch immer ging er einmal im Monat mit ihr dorthin, um sie vorzuführen , so nannte er es: Er führte sie vor wie seinen Tanzbären, der sich für ein paar Stempel und Formulare drehte, damit die Versicherung weiter zahlte. »Was meinst du damit, wenn er wieder was brauchte ?«
Tic zuckte mit den Schultern. »Na, alles, so Zeug zum Abheben oder zum Runterkommen, je nachdem. Hauptsächlich Pillen, Wachmacher oder Valium oder Codein, manchmal auch Morphium –«
»Willst du damit sagen, Kevin war ein Dealer ?«
»Quatsch, er hat das ja nur manchmal gemacht, wenn die Leute ganz dringend was brauchten, nicht professionell oder so was, und eigentlich war das meiste sowieso für Deniz, der brauchte es am nötigsten –«
»Wo finden wir diesen Deniz ?«
»Sie tun ihm doch nichts ?«
»Ich will nur mit ihm reden«, sagte Van Leeuwen. »Wir müssen mit allen reden, die Kevin gekannt haben. Wir stellen Fragen, so wie ich jetzt dir, und manchmal zeigen wir Bilder und stellen Fragen zu den Bildern, und mit etwas Glück haben wir am Ende die Antwort und machen ein neues Bild, das von dem Mörder.«
»Er wohnt in einem Abbruchhaus, da wo die alten Speicherhallen saniert werden, beim Westerdok – Deniz, meine ich.«
»Hat Kevin selbst auch was von dem Zeug aus dem Krankenhaus genommen ?«
»Höchstens mal ein paar Pillen gegen die Angst oder um richtig abzuheben, wenn Party angesagt war, wie jeder eben.« Sie breitete die Arme aus, zeigte ihm ihre nach oben gedrehten Handflächen,und einen Moment lang sah es fast so aus, als lächelte sie. »Jeder hat seine Methode, oder ? Und das war seine.«
»Was für eine Methode ?«
»Gegen die Angst. Um nicht unter die Räder zu kommen. Um zu überleben.«
»Seine Methode hat aber nicht besonders gut funktioniert, oder?«
Tic antwortete nicht. Sie lächelte auch nicht. Das, was wie ein Lächeln aussah, verwandelte sich und wurde zu einem lautlosen Weinen, kein Geräusch, nicht mal ein Atemholen, nur Wasser, das ihr aus den Augen lief und dann aus der Nase und den Mundwinkeln, und dann gab es endlich einen Laut, er klang wie ein Schrei, den sie einsaugte, statt ihn auszustoßen, eine ganze Reihe von qualvollen, tief in die Brust gesaugten schluchzenden Schreien.
»Ich wollte doch bloß schnell eine Pizza essen«, sagte sie unvermittelt. »Kann ich ihn sehen, bitte ? Kann ich ihn noch einmal sehen ?«
8
Die Straße war erfüllt von Blütenpollen, die wie gelbe Schneeflocken vom Park herübertrieben. Sie schwebten zwischen den Villen und den Gaslampen und Platanen und überzogen die geparkten Wagen an den Gehsteigen und das Pflaster mit einem feinen gelben Schleier.
Der Commissaris und Hoofdinspecteur Gallo standen vor einem geschlossenen Tor aus Schmiedeeisen und betrachteten die polierte Messingklingel neben der geschwungenen Klinke. Doktor Ruth van Leer wohnte in einem Stadtpalais mit Blick auf den Vondelpark. Das Haus hatte zwei Stockwerke und ein Dachgeschoss, und es lag hinter dem Zaun aus Schmiedeeisen, von dessen Tor eine weiße Treppe durch ein kleines Dickicht von Sonnenblumen zum Eingang führte. Es gab kein Namensschild, nur die Klingel.
Die Eingangstür aus massiver Eiche war grün gestrichen, und um das vergitterte Judasfenster rankte sich eine weiß und gold bemalteBlattgirlande. Darunter prangte ein Löwenkopf mit einem Ring im Maul als Türklopfer, ebenfalls aus poliertem Messing. Gallo drückte mehrmals auf den Klingelknopf. »Vielleicht hätten wir doch zuerst in die Klinik fahren sollen«, sagte er.
»Ich wollte sein Zuhause sehen«, sagte Van Leeuwen.
»Man sollte denken, dass jemand, der so lebt, genug Taschengeld kriegt, um auf Drogengeschäfte verzichten zu können«, meinte Gallo.
Van Leeuwen sagte: »Das Leben der Kids ist heutzutage oft teurer als das mancher Erwachsener.«
Gerade als Gallo zum zweiten Mal klingeln wollte, ging der Torsummer. Gleichzeitig wurde die Haustür geöffnet, und eine dunkelhäutige Frau mit einem geblümten Kleid, über dem sie eine Haushälterinnenschürze trug, trat auf die Schwelle. »Sie wünschen bitte?«
»Wir möchten gern zu Doktor van Leer«, rief Gallo, während er das Tor aufdrückte.
»Wen darf ich
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