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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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    »Die Polizei.«
    Ruth van Leer war eine große, schlanke Frau mit schulterlangen blonden Haaren, die ihr in perfektem Schwung über die Ohren fielen. Auch der Rest ihres Äußeren war auf Perfektion angelegt, die dezent geschminkten Lippen, die gezupften Augenbrauen und die langen Wimpern, die Hände – gepflegt, aber nicht manikürt, mit farblos lackierten Nägeln –, die Linien und Kurven, die Hals und Oberkörper formten. Ihre Augen waren apart geschnitten, und dem wolkigen Blau der Iris verlieh ein veilchenfarbiger Schimmer einen Hauch von Erotik.
    Sie trug ein dünnes Strickkleid italienischer Machart, wahrscheinlich von Missoni, wie Muster und Farben verrieten. Die kleinen Füße steckten in Sandaletten mit dunkelroten Lederriemchen. Sonst trug Ruth van Leer nichts, keinerlei Schmuck, und sie brauchte auch keinen: eine attraktive Frau, deren Eitelkeit sich trotzdem in Grenzen zu halten schien.
    Sie empfing die Polizeibeamten in ihrem Wohnzimmer, dasdenselben Wohlstand ausstrahlte wie ihre Erscheinung, jene Art von Wohlstand, die durch einen Anflug von Unordnung noch gewinnt. Der Kamin, die Teppiche auf dem Parkett, die Polstermöbel, die Zierkissen, die schlicht gerahmte Tänzerin von Degas an der Wand über der Couch, der offene Sekretär, auf dessen Schreibplatte ein Laptop stand: Alles war teuer, aber geschmackvoll, ein etwas schwerer, gediegener Geschmack, der eher zu einem Mann zu passen schien. Oder zu einer Frau, die Missoni trug. Überall lagen Zeitschriften, Mode und Medizin, einzelne Seiten einer Tageszeitung, Bildbände.
    Hinter der offenen Terrassentür erstreckte sich ein kleiner Garten, der auf keinen Fall nature morte sein sollte, sondern lebendig, nur halb gezähmt. Keine Rosen oder Tulpen, dafür sehr viel Grün an unbeschnittenen Büschen, exotische Blüten, die Van Leeuwen keiner Gattung zuordnen konnte, und eine mächtige Buche. Die gelben Pollen schwebten unter den Ästen der Bäume hindurch, zogen an der Tür vorbei, und einige blieben an den Scheiben der englischen Fenster hängen.
    »Was kann ich für Sie tun ?« Ihre Stimme war dunkel, warm. »Wir sind hier, weil wir mit Ihnen über Ihren Sohn Kevin sprechen möchten, Mevrouw«, sagte Van Leeuwen.
    Ihre Pupillen, unnatürlich geweitet, wie ihm erst jetzt auffiel, zogen sich zusammen. »Kevin, mein Gott, ja, der Junge ist wieder mal durchgebrannt«, sagte sie hastig. »Ich habe schon erwogen, ihn als vermisst zu melden, aber nun haben Sie ihn ja wohl gefunden. Ich werde kaum noch mit ihm fertig. Die Pubertät stellt so einen Jungen ganz schön auf den Kopf. Was hat er denn jetzt wieder angestellt?«
    »Wollen Sie sich nicht lieber setzen ?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie, »im Stehen zeigt man meistens mehr Haltung. Erfordert das, was Sie mir zu sagen haben, Haltung, Commissaris ?« Ihre Stimme zitterte ein wenig. Die Pollen im Garten schwebten sanft und leise auf den Rasen nieder.
    Ruth van Leer sah Van Leeuwen unverwandt an, mit Augen, deren Pupillen allmählich wieder zu ihrer natürlichen Größe zurückfanden.Er hörte Gallo dicht hinter sich atmen, und dann hörte er auch seinen eigenen Atem. »Wussten Sie, dass Kevin Drogen nahm ?«, fragte er.
    »Kevin Drogen ?! Was für Drogen ?« Ihre Stimme wechselte die Tonlage, wurde heller. »Nein, auf keinen Fall.« Sie schwieg abrupt, ohne den Mund ganz zu schließen, berührte mit zwei Fingerspitzen die rechte Schläfe.
    »Mevrouw?«
    »Ich gebe mir solche Mühe mit ihm«, sagte sie. »Aber es ist nicht genug. Sein Vater fehlt ihm. Er bräuchte einen Vater. Jemanden – jemanden, der ihm zeigt, wie man leben muss.«
    »Wo ist sein Vater ?«, fragte Van Leeuwen.
    »Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte sie fast verwundert. »Er ist weg. Er hat uns – er ist weggegangen, vor einer – du meine Güte, vor einer Ewigkeit. «
    »Also wussten Sie nicht, dass Ihr Sohn Drogen nahm ?«
    »Tun sie das nicht alle ?«, fragte sie zurück, aber dann holte sie tief Luft und fügte hinzu: »Nein, das wusste ich nicht.«
    »Warum nicht ?«, fragte Van Leeuwen. Er hörte, wie Gallos Atem sich veränderte. Lass mich nur machen, dachte der Commissaris; ich weiß, was ich tue. »Und dass er mit Drogen handelte, wussten Sie demnach auch nicht ?«
    »Was?! Aber – nein ...«
    »Warum wussten Sie das nicht ?«
    »Weil es nicht stimmt.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Kevin ist doch erst vierzehn. Er geht noch zur Schule. Wie soll er denn an – an Drogen kommen ? Wo ?«
    »In Ihrer

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