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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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nass; dunkelbraun floss es den zarten Nacken hinunter. Das Mädchen schaute weder nach rechts noch nach links, und ihre nackten Füße traten mit aller Kraft in die Pedalen, während die Lenkstange in den kleinen Fäusten hin und her schlug.
    Sie verschwand so schnell, wie sie aufgetaucht war. Eben noch ratterte sie mit quietschenden Radnaben vorbei, eingehüllt in wirbelnde Tropfen, die sie von sich zu schütteln schien wie ein aus demMeer springender Fisch, dann wurde sie verschluckt von dem Birkenhain etwas weiter den Weg hinunter.
    Bruno konnte den Blick nicht von der Stelle lösen, wo er das Mädchen zuletzt gesehen hatte. Er brachte die Feldarbeit zu Ende, und am Abend dachte er immer noch an das Mädchen auf dem Fahrrad. Am nächsten Morgen dachte er zuerst nicht mehr an sie, aber nach dem Frühstück fiel sie ihm wieder ein, und eine Woche später entdeckte er sie in der Kirche.
    Wenn er sich heute daran erinnerte, wie er Simone in der Kirche wiedergesehen hatte, spürte er unweigerlich auch wieder die Schmerzen in den Knien und die vor Müdigkeit brennenden Augen, die zum Alltag eines Messdieners gehörten wie Weihrauch, Schellenklang und der Geschmack trockener Hostien. Er war ans Stehpult getreten, um die Lesung vorzutragen, und als er aufsah, saß sie genau vor ihm in der ersten Bank.
    Er wusste noch, wie ihm das Blut ins Gesicht gestiegen war, wie er sich gefangen gefühlt hatte in ihrem ruhigen Blick. Plötzlich sah er Dinge, die er vorher nicht wahrgenommen hatte: seinen Atem in der kalten Luft, seine Hände, die beim Umblättern zitterten, sogar seine Fingernägel, die nie richtig sauber waren. Der Priester stand hinter dem Altar und zelebrierte das Wunder der Verwandlung von Blut in Wein. Die Kirchenorgel feierte das noch größere Wunder eines Chorals von Bach. Bruno van Leeuwen dagegen wagte nur aus den Augenwinkeln zu dem Wunder hinüberzublicken, das an diesem Morgen ihm allein geschenkt worden war.
    Vor dem dunklen Kirchenschiff schien ihr Gesicht zu leuchten – wachsglatte Haut, eine sanft geschwungene Stirn, ein entschlossenes Kinn, die schmale Nase und die zart gewölbten Wangenknochen, alles noch so frisch und jung, als hätte es eben erst seine endgültige Form gefunden. Die braunen Augen des Mädchens waren groß und klar, und sie standen ein wenig schräg, wie die eines Fuchses. Ihr spöttisches Funkeln war es, das Bruno verwirrte, vielleicht auch die unverhohlene Neugier, mit der sie ihn musterten.
    Das Mädchen trug einen dunkelblauen Dufflecoat und eine Strickkappe aus blauer und roter Wolle. Unter der Kappe kräuseltensich blonde Locken hervor, von denen jede einzelne so lange poliert worden zu sein schien, bis sie im Kerzenschein glänzten wie gesponnenes Gold. Nach dem Schlusswort musste Bruno dem Priester in die Sakristei folgen, aber er ging nur bis zur Tür, dann machte er eilig kehrt und warf einen Blick zurück ins Kirchenschiff.
    Das Mädchen war verschwunden. Er stürzte den Mittelgang hinunter, drängelte sich durch die letzten Besucher der Messe, doch auch draußen, vor der Kirche, entdeckte er niemanden in dunkelblauem Dufflecoat mit Strickkappe. Na gut, dachte er, na gut, sie wird wiederkommen, wenn du älter bist. Morgen bist du ja schon ein Stück älter und übermorgen auch.
    Jetzt haben wir uns schon zweimal gesehen, und beim dritten Mal wirst du sie fragen, ob sie dich heiraten will, und sie wird ja sagen. Natürlich bist du noch zu klein, um zu heiraten, aber wenn du nach Amsterdam oder Rotterdam oder Den Haag gehst und dort ein Mann wirst, kannst du eines Tages zurückkehren und sie zur Frau nehmen. Eines Tages, wenn du älter bist.
    Das jedenfalls musste es sein, worauf er gewartet hatte. Er kauerte vor der Fensterbank seiner Kammer und sah zum Damm hinüber, und das kleine blaue Transistorradio, das seine Mutter ihm von einer Reise nach Utrecht mitgebracht hatte, stand immer neben ihm, denn Radio Hilversum spielte von morgens bis abends ein neues Lied, She loves you, yeah, yeah, yeah.
    »Weißt du noch, die Beatles«, sagte er. »Das war das Jahr, in dem wir uns kennen gelernt haben.«
    Simone saß auf der Couch, aufmerksam vorgebeugt, und lauschte dem Lied, das er für sie auf den Plattenteller gelegt hatte. Sie trug nur einen Schuh, der andere Fuß war nackt. Das Etikett des Strickpullovers, in dem sie geschlafen hatte, stand nach hinten ab. Auch der Rock sah aus, als hätte sie darin geschlafen. Der Simone-Look.
    » Yeah, yeah, yeah «, sagte er. Sie

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