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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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gestapelt vom Boden bis unters Dach, den ganzen Reichtum einer großen Handelsnation.
    Das leer stehende Abbruchhaus, von dem Tic erzählt hatte, lag ganz am Ende der Straße in einer verwaisten, schäbigen Gegend am Barentszplein, wo das Land aufhörte und unermüdlich donnernde Rammen immer neue Betonstreben in den Meeresgrund stampften. Türen und Fenster im Parterre des Hauses waren mit Bretternzugenagelt. Von den Scheiben in den beiden oberen Stockwerken hatten nur ein paar schmutzige Scherben überlebt, die wie spitze Zähne aus den geschwärzten Rahmen ragten. Gallo setzte zurück und parkte den Dienstwagen hinter der Einfahrt einer alten Seifensiederei, wo er nicht auffiel. Als Van Leeuwen ausstieg, weiteten sich seine Lungen; kaum etwas spürte er in seiner Stadt lieber als diesen Geruch von Seetang und Teer im salzigen Wind.
    Durch die Fenster im ersten Stock des Hauses sah er, dass auch die Zimmerdecken schwarz von Ruß waren. Sein Puls ging langsamer, und sein Blut kühlte sich ab. Er hatte von einem Tiefseetaucher gehört, der eine kleine Ewigkeit lang ohne Sauerstoff auskommen konnte. Auf dem tiefsten Grund des Ozeans schlug sein Herz nur noch viermal in der Minute. So war es, wenn Van Leeuwen ein brennendes Haus sah oder eins, das noch Brandspuren trug; als sinke er auf den tiefsten Meeresgrund, wo sein Herz nicht öfter schlug als unbedingt notwendig.
    Vom Ijsselmeer drang das schwermütige Tuten eines Schiffshorns herüber. Überall auf den Inseln wurde gehämmert; Sägen und Kranwinden kreischten, und wie immer kratzten die Schreie der Möwen am Himmel. Ihr klagendes Hey-hey-hey klang wie der Lärm von einem fernen Kinderspielplatz.
    Van Leeuwen und Gallo gingen um das Haus herum auf den mit Sperrmüll vollgestellten Hinterhof. Der Hoofdinspecteur rüttelte an den Holzlatten, mit denen die rückwärtige Tür verrammelt war. Er schob ein paar lockere Latten zur Seite und kletterte durch die Lücke. Der Commissaris folgte ihm mühsam. Der von Zwielicht erfüllte Raum dahinter sah aus, als hätte er einmal ein Lager beherbergt. Noch immer hing Brandgeruch in der Luft.
    Du musst hier nicht sein, dachte Van Leeuwen. Du kannst Gallo die Untersuchung allein weiterführen lassen und draußen warten. Aber wie viel Respekt bleibt dir dann noch, wenn du dich von einem Bild unterkriegen lässt, egal, was die Erinnerung daran mit dir anstellt ?
    Raschelnd bahnte Gallo sich einen Weg über Berge von Müll und alten Pappkartons bis in das von Schimmel befallene Treppenhaus.Dort, wo einst Holzstiegen nach oben geführt hatten, klaffte jetzt ein hohler Schacht, der bis zum Dachgebälk reichte. Der Hoofdinspecteur legte den Kopf in den Nacken und rief: »Deniz ! Deniz?! «
    Außer den fernen Geräuschen der Werften war nichts zu hören. »Hier ist niemand«, sagte Van Leeuwen.
    Gallo sah sich um, ging dicht an den Wänden entlang. An einem halb verkohlten Türrahmen blieb er stehen. »Dachte ich mir doch«, murmelte er. Mit dem Fingernagel kratzte er einen kräftigen Bindfaden, der in eine Ritze des Rahmens geklemmt war, heraus und zog daran. Ein dickes Seil rutschte vom Boden des ersten Stocks und fiel herunter wie ein Glockenstrang. Gallo prüfte das Seil mit einem scharfen Ruck. »Wann bist du das letzte Mal an so was hochgeklettert ?«, fragte er.
    Van Leeuwen trat neben ihn und schaute den Schacht hinauf. Eine Taubenfeder schwebte aus dem Sonnenlicht hoch oben im Treppenhaus auf ihn zu. Ihm wurde schwindelig. »Ich kann das nicht«, sagte er. »Und du solltest es auch nicht versuchen.«
    Gallo sagte nichts. Er packte das Seil mit beiden Händen, prüfte, ob es sein Gewicht trug, und hangelte sich dann daran hoch in den ersten Stock, wo er auf die angesengten Dielen kletterte. Das Seil schwang noch leicht hin und her. Van Leeuwen konnte den Hoofdinspecteur jetzt nicht mehr sehen. Er hörte nur einige scharrende Schritte, dann herrschte Stille.
    »Was ist da oben ?«, rief er. »Siehst du was, Ton ?« Er erhielt keine Antwort. »Ton ?« Seine Stimme verlor sich in den leeren Räumen. Er sah noch einen Moment lang nach oben, wo Gallo verschwunden war, dann griff er nach dem Seil und zog daran, versuchte sich selbst auch hochzuziehen, aber sobald seine Füße den Boden nicht mehr berührten, merkte er, dass seine Kraft nicht ausreichte. Ich bin doch zu alt, dachte er. Früher konnte ich auf Bäume klettern; das ist jetzt wohl vorbei.
    Er sah es aus den Augenwinkeln. Eine Bewegung im Dunkel des nächsten Raums, links

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