Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
müsste ihn zur Fahndung ausschreiben und verhaften«, korrigierte Gallo ihn.
»Wir können hier auf ihn warten.«
»Wer weiß, wann er zurückkommt.«
»Bald.«
»Wer sagt dir das ?«
»Mein Gefühl.«
»Ich glaube nicht an Gefühle«, sagte Gallo.
»Ich weiß«, sagte Van Leeuwen.
Vielleicht habe ich mich getäuscht, dachte der Commissaris; vielleicht sehe ich Gespenster. Er spürte, dass die Gefahr vorüber war, und er fragte sich, ob überhaupt eine Gefahr bestanden hatte. Schließlich hatte er eine lebhafte Phantasie. Wenn wir jetzt das Haus durchsuchen, werden wir nichts finden, sagte er sich, wir brauchen also gar nicht erst damit anzufangen. »Du hast Recht, wir lassen das Haus beobachten, dann haben wir ihn bald.«
Er ging durch das leere Treppenhaus und den Lagerraum zur Hintertür und schob sich an den Brettern vorbei ins Freie. Das Tageslicht blendete ihn, sodass er den Jungen nicht sofort sah. Der Junge stand direkt vor der Tür und starrte ihn an, reglos vor Überraschung.
Der Junge trug eine ausgefranste Jeans mit Rissen an den Oberschenkeln, graue Nikes und ein ungebügeltes maulbeerrotes Hemd, außerdem eine gelbe Baseballkappe und eine Chevignon -Lederjacke, die ihm zwei Nummern zu groß war. Aber weil er die Ärmel umgeschlagen und hochgekrempelt hatte, sah man das nicht sofort, und man hielt ihn für älter.
Das Gesicht des Jungen war blass, als käme es nur selten mit Wind und Wetter in Berührung. Der Schirm der Baseballkappe warf einen gelblichen Schatten auf seine Haut. Der erste Bartwuchs, nicht mehr als ein Flaum, wirkte wie mit Feder und Tusche zart über die Oberlippe gemalt. Die braunschwarzen Augen flammten in jäher Panik.
»Bist du Deniz ?«, fragte Van Leeuwen.
»Nein«, sagte der Junge so schnell, als wäre ihm diese Antwort schon zur zweiten Natur geworden. Er wollte wegrennen, aber der Commissaris war schneller und packte den viel zu weiten Ärmel der Chevignon -Jacke. »Wir wollen nur mit dir reden«, sagte Van Leeuwen.
»Worüber denn ?«, fragte der Junge.
»Über deine Schatzinsel da oben unterm Dach«, sagte Gallo, der sich ebenfalls durch die Lücke im Bretterverschlag gezwängt hatte. »Über das hier.« Er hielt Deniz den schwarzen Trainingsanzug und die weiße Skibrille entgegen. »Und über deinen Freund Kevin.«
»Kevin ? Kenn ich nicht.«
»Und Tic, kennst du die ?«
»Nee.«
»Aber Robbie, die sagt dir doch was.«
»Robbie ? Welche Robbie ?«
»Deine Freundin«, sagte Gallo.
»Warst du am Koninginnedag nachts im Vondelpark ?«, fragte Van Leeuwen.
»Das geht euch gar nichts an, wo ich war.«
»Das geht uns doch was an«, sagte Gallo und hielt Deniz seinen Ausweis vors Gesicht.
»Na gut«, sagte der Junge und senkte den Kopf.
Van Leeuwen lockerte seinen Griff. Deniz trat Gallo so heftiggegen die rechte Kniescheibe, dass der Hoofdinspecteur kreidebleich wurde. Gleichzeitig riss der Junge sich los und rannte über den Hof. Van Leeuwen setzte ihm nach, ohne zu überlegen. Der Junge lief schnell. Er schlängelte sich zwischen den überquellenden Müllcontainern und Stapeln von Sperrgut durch und schlug ein paar Haken. Auch Van Leeuwen lief schnell, schnappte aber jetzt schon nach Luft und merkte, dass er den Jungen niemals einholen konnte, wenn der nicht wollte.
Der Junge rannte zur Hausecke, denn wenn man zur Straße wollte, musste man dort vorbei, und deswegen rannte Van Leeuwen in dieselbe Richtung. Er konnte es vor Deniz schaffen, weil er die kürzere Strecke hatte, er musste nur aufpassen, dass er nicht stolperte und irgendwo gegenrannte. Die Sonne stand schon tief und schien ihm in die Augen, und sein Herz schlug wieder zu heftig, aber deswegen musste er sich keine Sorgen machen, denn mit seinem Herzen war alles in Ordnung und mit seiner Lunge auch, seit er mit dem Rauchen aufgehört hatte.
Der Junge sah, dass Van Leeuwen ihm den Weg zur Straße abschnitt, und schlug wieder einen Haken, und der Commissaris begriff, wo Deniz jetzt hinwollte. Er wünschte sich, Gallo würde ihn abfangen, aber der Hoofdinspecteur stand noch immer da, vornübergebeugt, und betastete sein schmerzendes Knie, und deswegen stieß Van Leeuwen sich von der Hausecke ab und lief selbst hinter Deniz her, rannte, obwohl ihm die Lungen wehtaten und der verschwitzte Stoff der Hose an seinen Beinen klebte, und dann sah er, dass der Junge den Zaun zum Nachbarhof fast erreicht hatte, aber nur fast, und mit letzter Kraft und keuchend schaffte Van Leeuwen es, sein Tempo noch
Weitere Kostenlose Bücher