Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Hoofdinspecteur Anton Gallo. Die Befragten verzichten auf anwaltlichen Beistand.«
Deniz gab ein verächtliches Zischen von sich. Sein Gesicht war hart vor Trotz. Seine Augen glänzten zornig, als hätte er hinter jedem eine Faust geballt. Das kalte Licht im Vernehmungszimmer schien ihn nicht einzuschüchtern, genauso wenig wie die Videokamera, die das Gespräch aufzeichnete und auf einen Monitor im angrenzenden Beobachtungsraum übertrug, wo Brigadier Tambur und Inspecteur Vreeling zusahen.
Die Kamera registrierte das leiseste Zucken der Mundwinkel, jedes Blinzeln, jedes Zittern, aufsteigende Tränen, vibrierende Nasenflügel, das kleine ABC der Körpersprache.
Van Leeuwen und Gallo saßen Deniz und Robbie gegenüber. Vor ihnen auf dem langen Tisch lag die Ermittlungsakte in einem zugeklappten Ordner, darin die Fotos des Toten, des Tatorts, schriftliche Zeugenaussagen, alles, was sie bisher wussten. Daneben lagenmehrere Bleistifte und Kugelschreiber und ein Lineal aus Metall, außerdem ein Paar Handschellen samt Schlüssel. Am Rand der Tischplatte standen eine Flasche Mineralwasser, ein paar Gläser und ein Aschenbecher, aber es gab keine Zigaretten.
Auf dem Boden lag billige Teppichauslegeware. Die Stühle waren aus Kunststoff, der sich leicht reinigen ließ. Hinter den schräg gestellten Lamellen der Jalousie funkelten die Lichter der Stadt. Sie waren im obersten Stockwerk des Präsidiums.
»Wir möchten mit euch über Kevin reden«, sagte Hoofdinspecteur Gallo, »genauer, über seinen Tod. Wer von euch will anfangen ?« Sein Blick wanderte von Deniz zu Robbie. Ihren Angaben nach war Robbie fünfzehn Jahre alt und wohnhaft an der Stadhouderskade, Tochter berufstätiger Eltern. Sie versuchte genauso trotzig auszusehen wie Deniz, aber es gelang ihr nicht. Sie fröstelte leicht, und das kurz geschnittene dunkelbraune Haar war fast schwarz vor Nässe. »Möchtest du anfangen ?«, fragte Gallo sie.
Robbie antwortete nicht.
Gallo sagte: »Ihr wart an dem Abend, an dem Kevin getötet wurde, mit ihm verabredet, aber er ist nicht gekommen.«
Robbie warf Deniz einen Seitenblick zu. Deniz reagierte nicht. Er sah geradeaus, auf einen Punkt genau zwischen Van Leeuwen und Gallo.
»Er konnte nicht kommen, weil er zur verabredeten Zeit schon nicht mehr lebte«, fuhr Gallo fort. »Deswegen wollen wir von euch wissen, wo ihr zum Zeitpunkt seines Todes wart und ob es Zeugen dafür gibt.«
Deniz gab wieder sein verächtliches Zischen von sich, ohne den Punkt zwischen Van Leeuwen und Gallo aus den Augen zu lassen. Robbie begann an ihrem Daumen zu nagen. Eine halbe Minute verging, in der niemand etwas sagte. Schließlich wandte Gallo sich an den Commissaris. »Sie wollen nicht reden.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte der Commissaris. »Heutzutage reden doch alle gern. Die meisten Morde passieren überhaupt nur, weil die Leute niemanden haben, der ihnen zuhört. Man schaltet nachmittags den Fernseher ein, und die Welt ist ein einzigesGebrabbel.« Er betrachtete Robbie. »Stell dir einfach vor, du wärst im Fernsehen.«
» Live um elf , zu Gast bei Van Leeuwen und Gallo«, ergänzte der Hoofdinspecteur. »Und hier unsere nächste Frage: Wissen eure Eltern, wo ihr euch herumtreibt, oder ist das denen egal ? Du, Deniz, was wird dein Vater sagen, wenn wir ihm beschreiben, in was für einer Behausung du lebst ? Er ist Gemüsehändler, so viel wissen wir schon, ein anständiger, hart arbeitender Gemüsehändler.«
Deniz runzelte die Stirn.
»Er redet immer noch nicht«, sagte Van Leeuwen.
»Tja«, meinte Gallo, »redet eben doch nicht jeder gern. Sind nicht alle so wie du oder ich.« Er sah erst Robbie an, dann Deniz. » Ich rede nämlich gern, sogar nach einem harten Tag wie heute. Ich rede über alles Mögliche, aber am liebsten über mich. Ich steh nämlich auf mich. Ich finde, ich bin irgendwie gelungen. Sieht vielleicht nicht so aus, ist aber so. Ich heiße Anton Gallo, Ton , aber die meisten nennen mich Hoofdinspecteur Gallo und manche sogar Mijnheer. Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, keine Frau, keine Kinder, zurzeit nicht mal ’ne Freundin. Ich wollte immer Sportler werden, Fußballspieler bei Ajax oder Rugby, aber nie Bulle. Ich hab die Schule kurz vorm Abi geschmissen, und dann habe ich eine Malerlehre angefangen, aber das war’s nun gar nicht, und deswegen bin ich zu den Soldaten gegangen, freiwillig, zur Friedenstruppe auf dem Balkan, nach Bosnien, weil ich dachte, da darf man sich nicht drücken. Willst du
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