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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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während daneben eine gigantische Hightech-Bürostadt mit spiegelnden Fassaden hochgezogen worden war, deren obere Stockwerke noch das Licht der längst untergegangenen Sonne zu speichern schienen.
    Van Leeuwen schob die Hände in die Jackentaschen und lehnte sich gegen den Wind. Die Luft roch nach feuchtem Abfall. DerWind zerrte an den Plakaten, mit denen die Wände der Einkaufscenter unter den Straßenbrücken beklebt waren. Hier und dort türmten sich kleine Hügel nassen Laubs, die den letzten Winter überlebt hatten. Die wenigen Passanten eilten mit verfrorenen Gesichtern dicht an den Häusern entlang. Nur die Afrikaner, die in ihren Overalls zur Nachtschicht in den Flughafenputzkolonnen nach Schiphol aufbrachen, schienen weder den Wind noch die Kälte zu spüren.
    Van Leeuwen passierte eine Imbissbude, einen Teppichladen und einen Waschsalon. Er ging an einem Import-Export-Geschäft vorbei, dann an einem Balkangrill und an einem Videoshop, dessen Eingang von violett blinkenden Glühlampen eingefasst war. Die meisten anderen Türen und Fenster waren schon durch heruntergelassene Metallrollos gesichert.
    In einem Müllcontainer hinter einem Parkhaus brannte ein Feuer. Eine Horde dunkelhäutiger Jungen mit Rastalocken bildete eine Traube um den qualmenden Müll. Sie rauchten, tranken Dosenbier und spielten auf Gitarren und Bongos die Musik ihrer Heimat.
    Vor einem der Wohnblocks aus schartigem Beton blieb Van Leeuwen stehen. Schimmelflecken zogen sich über die Fassade. Auf den winzigen Balkonen standen Bierkästen, ausrangierte Möbel und Wäschespinnen mit vergessenen Unterhemden, Slips und Strümpfen. Die Eisenbrüstungen verfielen zu Rost, von den Fensterrahmen blätterte die Farbe. Lockere Jalousien schepperten im Wind, der mit unmelodischem Summen zwischen die Wohnsilos fuhr.
    Die meisten Klingelschilder fehlten. Die Eingangstür war nur angelehnt.
    An der Fahrstuhltür hing ein Schild mit der Aufschrift Außer Betrieb . Daneben stand ein aufgeplatzter Müllsack. Van Leeuwen stieg die Treppe hinauf, bis er den achten Stock erreicht hatte. Er ging einen endlosen, schlecht beleuchteten Korridor entlang, und der Lärm hinter den zerkratzten Türen, die Gerüche, die Schmierereien an den Wänden, der Schmutz, alles erinnerte ihn an jeden schäbigen dunklen Korridor, durch den er in seinem Leben als Polizistgegangen war. An der Tür mit der Nummer 817 blieb er stehen und klingelte.
    Brigadier Tambur öffnete nach dem zweiten Klingeln. »Commissaris, sind Sie das ?!«, entfuhr es ihr überrascht. Sie trug eine weit geschnittene Freizeithose aus Segeltuch mit Gummizug im Bund, ein khakifarbenes Unterhemd und Turnschuhe. Sie war ungeschminkt und wirkte jung und verletzlich. Sie hatte sich das Gel aus dem Haar gewaschen, und nun war nur noch ein schönes Tizianrot übrig geblieben, offenbar ihr natürlicher Ton. Hinter ihrem rechten Ohr klemmte eine filterlose Zigarette. Aus der Küche drang der Geruch von gebratenen Zucchini.
    »Darf ich reinkommen ?«, fragte Van Leeuwen. In der Wohnung nebenan lief der Fernseher auf voller Lautstärke; der Commissaris hörte Applaus, johlendes Publikum, Showfanfaren.
    »Bitte.« Julika trat zur Seite. »Natürlich, entschuldigen Sie, Mijnheer, ich wollte mir gerade was zu essen kochen.«
    »Riecht lecker«, sagte Van Leeuwen. Der Flur hinter der Tür war schmal. Das Licht aus der Küche enthüllte einen Garderobenständer, einen Spiegel und ein Bücherregal, aber es reichte nicht aus, dass man die Titel lesen konnte. Es gab eine weitere Tür, geschlossen, die wahrscheinlich zum Bad führte, und eine angelehnte gleich neben der Küche.
    »Sind Sie allein ?«, fragte Van Leeuwen.
    »Ja«, antwortete Julika. Sie ging voran. Als er ihr folgte, nahm er einen schwachen Duft von Parfum wahr. Er fragte: »Erwarten Sie jemanden?«
    »Nein.«
    In der Küche brannte eine Honigwachskerze auf einem Tisch mit rot-blau karierter Decke. An dem Tisch stand nur ein Stuhl. An der Wand, auf die man von dem Stuhl aus schaute, hing Julikas Polizeidiplom in einem schlichten Metallrahmen. Sonst waren die Wände schmucklos. Durch das kleine Fenster fiel der Blick des Commissaris auf die Hochbahn, mit der er gekommen war. Er stellte sich vor, dass Brigadier Tambur manchmal hier im Dunkeln saß und die vorbeifahrenden Züge beobachtete.
    Beim spärlichen Schein einer kleinen Lampe über dem Herd rührte Julika abwechselnd in zwei Aluminiumtöpfen, in dem einen waren Spaghetti, in dem anderen köchelte

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