Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Tomatensauce. Sie kostete die Sauce, nahm die Pfanne mit den gebratenen Zucchinischeiben von der Gasflamme und sagte: »Viel zu viel für einen. Möchten Sie mitessen ?«
»Nein. Danke.«
Sie stellte die Pfanne auf einen Holzuntersetzer und holte einen vorgewärmten Teller aus dem Backofen. Sie deutete auf eine Flasche kalifornischen Rotwein in einem winzigen Weinständer unter dem Fenster. »Dann könnten Sie inzwischen den da aufmachen. Korkenzieher liegt auf dem Fensterbrett. Was trinken werden Sie ja wohl, oder ? Sie sehen aus, als wären Sie dem Teufel begegnet.«
»Ich habe ihn geheiratet«, sagte Van Leeuwen, oder vielleicht dachte er es auch nur. Er entkorkte die Flasche, während Julika die Nudeln abtropfen ließ und auf den Teller häufte. Sie gab die Zucchinischeiben dazu, bevor sie alles mit der Tomatensauce übergoss. Van Leeuwen roch Knoblauch und geröstete Zwiebeln, und ihm fiel ein, dass er außer dem Frühstück den ganzen Tag nichts gegessen hatte.
»Nun setzen Sie sich schon, Mijnheer«, forderte Julika ihn auf. Er sah sich um, entdeckte aber nur einen Holzschemel ohne Lehne. Er zog den Schemel an den Tisch und schenkte den Wein in zwei blitzblank gespülte Gläser mit zartem Goldrand. Julika griff nach ihrem Glas und hob es, um mit ihm anzustoßen. »Auf Sie, Commissaris. Sie hätten das nicht tun müssen. Es war mein Fehler, und ich wäre auch damit klargekommen, wenn Sie mich rausgeschmissen hätten.«
»Sind Sie nicht gern Polizistin ?«
»Doch, und wie.«
»Danach wären Sie keine mehr gewesen.« Van Leeuwen sah zu, wie sie trank, und dann trank er selbst, als sie zu essen begann. Der Wein war nicht so schlecht, wie er befürchtet hatte. »So oder so, viele Fehler können Sie sich nicht mehr leisten.«
»Ich weiß.« Julika runzelte die Stirn, aß aber weiter; offenbar warsie sehr hungrig gewesen. »Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Commissaris. Wahrscheinlich denken Sie, ich werde nie richtig gut, eine gute Polizistin.«
Van Leeuwen sagte: »Ich habe Ihre Akte gelesen. Da steht alles Mögliche über Sie drin, Ihre Ausbildung, Ihre Beurteilungen, was Sie können, aber nicht, warum Sie zur Polizei gegangen sind.« Eigentlich wollte er gar nicht mit ihr darüber reden, warum sie Polizistin geworden war. Er wollte wissen, was in den Briefen stand, die er bei sich trug, aber er hatte auch Angst davor, deswegen zögerte er es hinaus.
Julika aß schweigend noch einige Bissen. Dann ließ sie die Gabel sinken, holte die Zigarette hinter ihrem Ohr hervor und zündete sie an der Kerze auf dem Tisch an. »Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich immer Angst«, sagte sie schließlich. »So eine Angst können Sie sich gar nicht vorstellen. Alles, was ich von morgens bis abends wollte, war weglaufen. Damals wohnten wir in einer anderen Gegend, meine Eltern und ich, aber besser als die hier war sie auch nicht. Es gab viel Straßenkriminalität, viel Gewalt, aber wenn man in so einem Viertel wohnt, gehört das dazu, man stört sich nicht daran. Die Kinder spielen trotzdem auf der Straße oder auf dem Spielplatz, zwischen weggeworfenen Spritzen und verbogenen Cracklöffeln. Ich war die Einzige, die Angst hatte. Ich hatte beim Spielen meine Augen immer überall, und deswegen machte mir das Spielen auch nie wirklich Spaß.«
Julika stand auf, holte einen kleinen Messingaschenbecher aus dem Küchenschrank und setzte sich wieder.
»Manchmal hörte man Schreie«, fuhr sie fort, »sogar am helllichten Tag, Schreie, bei denen einem das Herz stehen blieb. Sie drangen aus irgendeinem Keller oder aus dem Hinterhof eines Abbruchhauses oder aus dem Treppenhaus eines Rohbaus, und jeder wusste, dass da gerade etwas passierte, dass da jemand zusammengeschlagen wurde oder gefoltert oder manchmal sogar ermordet, und meistens sah man kurz danach ein paar Männer ganz ungeniert den Keller oder den Hinterhof oder das Treppenhaus verlassen und in einen viertürigen Wagen steigen. Es waren immer mehr als zwei Männer,meistens drei, und immer viertürige Wagen. Manche liefen auch zu Fuß weg, aber die meisten hatten Autos.«
Ihr Blick wanderte zu dem gerahmten Diplom an der Wand. »Wenn das passierte, hörten wir auf zu spielen. Während die Schreie ertönten, spielten wir noch weiter, als hätten wir nichts gehört, aber sobald die Männer weg waren, hörten wir auf, und einige von uns liefen dann dorthin, wo die Schreie hergekommen waren. Sie liefen hin, um nachzuschauen, was dort los gewesen war, aus kindlicher
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