...und was machen wir am Nachmittag? Satirisches über ein kleines Land
aber dann ging’s nicht weiter. Ein eisernes Gittertor ist ein eisernes Gittertor, besonders wenn es von innen versperrt ist.
Es blieb mir nichts anderes übrig, als um das ganze Gebäude herumzugehen, bis zur Hinterfront. Dort gab es, wie ich wußte, noch einen Eingang, eine kleine Glastür.
An der Innenseite dieser Tür hing eine Tafel mit der Ankündigung meines Vortrags. Ein paar optimistische junge Menschen, der Stolz unseres Landes, standen dort, in der Hoffnung, vielleicht doch noch meinen Vortrag zu erleben.
Ich klopfte an die Tür. Niemand öffnete. Ich klopfte kräftiger. Ein untersetzter Ordner näherte sich von innen, schob die Tafel ein wenig zur Seite und machte das international gebräuchliche Zeichen für »Schert euch zum Teufel!«. Ich zeigte auf mich und gab mich als Vortragenden zu erkennen. Die nicht minder ausdrucksvolle Gebärde des Ordners deutete an, daß er durchaus imstande sei, mir alle Knochen im Leib zu brechen. Die optimistischen jungen Menschen ringsum verhöhnten mich, weil ich es mit einem so alten Trick versucht hatte. Ich begann aufs neue zu klopfen, diesmal mit beiden Fäusten. Nach einiger Zeit nahm ich auch noch die Füße zu Hilfe. Tatsächlich öffnete sich die Tür, wenn auch nur einen Spaltbreit, und der Ober-Ordner schlug mir mit einem Besen über den Kopf.
»Ausverkauft!« brüllte er. »Verschwinde!«
»Ich bin der Vortragende«, stieß ich hervor und sprang hurtig zur Seite. »Lassen Sie mich hinein.«
»Nicht einmal der Staatspräsident kommt hier herein!«
Der Besenstiel sauste drohend durch die Luft. »Reiz mich nicht, oder ich hol die Polizei.«
Er schlug die Tür zu, versperrte sie und schob mit hämischem Nachdruck den Riegel vor.
Von drinnen klang gedämpftes Klatschen. Die Ungeduld des Publikums wuchs. Ich mußte handeln.
Von der gegenüberliegenden Apotheke rief ich den Kulturklub an.
»Ausverkauft«, sagte eine mürrische Stimme.
»Bitte holen Sie Herrn Stockler.«
»Unmöglich. Er ist drinnen beim Vortrag.«
Klick.
Als ich zu meiner Tür zurückkehrte, hatten sich die jungen optimistischen Menschen bereits aus dem Staub gemacht. Nur ein einziger stand noch da. Er trug eine große Ziehharmonika und war, wie sich herausstellte, das »Gemischte künstlerische Programm« des Abends. Auch er war zu spät gekommen.
Rasch freundeten wir uns an und tauschten Ideen aus, wie wir die Wachsamkeit der Ordner umgehen könnten. Es fiel uns nichts Brauchbares ein. Mendel, so der Name des Gemischten Programms, begann auf seiner Ziehharmonika eine mitreißende Marschmelodie zu spielen, konnte sich aber gegen die lauten Pfiffe des ungeduldigen Publikums im Saal nicht mehr durchsetzen.
Etwas mußte geschehen. Ich ging wieder in die Apotheke und bat um irgend etwas, womit man auf Glas schreiben konnte.
»Sind Sie der Vortragende von drüben?« fragte der Apotheker. »Die Vortragenden nehmen gewöhnlich Lippenstift.«
Ich kaufte einen Lippenstift der bewährten Marke »Feurige Küsse«, ließ mich vom Gemischten Programm hochheben und schrieb in leuchtenden Lettern auf das Glas: ICH BIN DER VORTRAGENDE.
Der Ober-Ordner und sein vierschrötiger Assistent sahen mich und griffen nach ihren Besenstielen, aber bevor sie die Tür öffnen konnten, brachten wir uns in Sicherheit.
»Du Trottel«, keuchte das Gemischte Programm. »Du hast nicht in Spiegelschrift geschrieben.«
Als wir an einem Postamt vorbeisausten, durchzuckte mich ein grandioser Einfall. Ich stürzte hinein und fragte den Schalterbeamten, wie lange die Beförderung eines Telegramms dauerte.
»Keine Ahnung«, antwortete er.
Ich ließ mich davon nicht abhalten und schrieb auf das Formular: STEHE DRAUSSEN VOR EINGANG STOP HINEIN-LASSET MICH RASCHEST STOP DER VORTRAGENDE.
Wir eilten zum Klubhaus zurück, diesmal zum Haupteingang, aber der Telegrammbote kam nicht. Die israelischen Postverhältnisse lagen damals noch sehr im argen.
Drinnen im Saal war unterdessen ein wahres Pandämonium losgebrochen. Man hatte den Eindruck, daß das Haus jeden Augenblick in die Luft gehen würde.
»Wir müssen das Tor rammen«, sagte Mendel heiser.
In einer Ecke des Vorhofs lehnte eine pensionierte Wagendeichsel. Wir nahmen sie unter die Arme, gingen ein paar Schritte rückwärts, um genügend Anlauf zu haben, und warfen uns mit aller Kraft gegen die Festung. Beim zweiten Versuch splitterte das Tor.
Der Nahkampf war kurz und heftig. Mendel brach unter der Pranke des Ober-Ordners zusammen. Ich entging dem Stuhl, den
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