Und was wirst du, wenn ich gross bin
oder gar regelmäßig klatschten, als wollten sie sich selbst anfeuern.
Man muss dazu sagen: Der Altersdurchschnitt war dergestalt, dass meine Großeltern noch im jüngeren Bereich angesiedelt waren. Ferner seien noch die Gepflogenheiten der Haarmode erwähnt, womit ich nicht das Kopfhaar meine. Die einzige Rasur, die auf dem gesamten Gelände als politisch korrekt empfunden wurde, war die Rasur des einen oder anderen Bartes. Es mag sein, dass einem rückblickend alles größer, länger und überhaupt beeindruckender erscheint - aber da gab es Herren, die trugen Günter Netzers Frisur auf dem Rücken oder einen Siebziger-Jahre-Paul-Breitner-Schopf geringelt auf dem Bauch, der hie und da so üppig und überhängend war, dass man nur aus der Perspektive meines Bruders mit absoluter Sicherheit sagen konnte, ob es sich wirklich um einen Mann handelte.
Irgendwie habe ich den Tag überstanden. Ich kann mich nicht an Gesichter erinnern, ich habe versucht, niemandem in die Augen zu blicken und mich auch sonst so nah wie möglich an der Unsichtbarkeit zu bewegen. Niemals wieder war ich so auf einen Tischtennisball fixiert.
Für den zweiten Tag war der Höhepunkt des Wochenendes angekündigt: ein Leichtathletik-Wettkampf für Kinder und Jugendliche. Ich war bereits angemeldet. Ein gnadenloser Kampf zweier Instinkte bestimmte meine Nacht. Einerseits sportlicher Ehrgeiz, die Aussicht auf Ruhm und Lorbeeren, andererseits der Alptraum des Schamgefühls und der Schüchternheit. Völlig nackt vor jeder Menge Zuschauern Sport auszuüben! Aus der Sicht eines Älteren könnte man auch sagen: einerseits ein Gefühl, dazu angetan, den Sack schwellen zu lassen, andererseits ein Gefühl, dazu angetan, eben jenen so zusammenzuziehen, dass die Gonaden freiwillig zurück in die Bauchhöhle wandern. Letzteres Gefühl obsiegte, verlor aber schon am Morgen gegen die Sportbegeisterung meines Opas, und so befand ich mich kurz nach dem Frühstück im Wettkampf.
Vom Kugelstoßen weiß ich nichts mehr, und vom Hochsprung habe ich nur die brennend heiße dunkelblaue Hochsprungmatte in Erinnerung, die sich bei jeder Landung auf der Haut wie schmelzendes Zellophan anfühlte und einen nur unter lautem Schmatzen wieder freigab. Dann die Fünfzig-Meter-Sprintstrecke, barfuß durchs Gras; ich war sehr schnell, wohl in der Hoffnung, je schneller ich liefe, desto schneller sei alles vorbei. Erst mehrere Minuten nach dem Zieleinlauf bemerkte ich, dass nicht nur mein Punktekonto anschwoll, sondern auch mein Fuß, da ich eine Biene übersehen - und überlaufen - hatte.
Mag sein, dass das Bienengift half. Jedenfalls war der Ehrgeiz geweckt, das Adrenalin auf Anschlag, und beim abschließenden Weitsprung war ich nicht nur aus Schüchternheit im berüchtigten »Tunnel« - der völligen Konzentration auf das Ziel.
Ich sprang dreimal, ohne über irgendwelche Blößen nachzudenken. Allerdings gab es noch eine weitere Ablenkung. Es ist schon sehr erstaunlich, wo Sand überall hingelangen kann, selbst wenn man nackt ist. Um ihn wieder abzuschütteln, müsste man zu Bewegungen greifen, die man nackt vor anderen lieber nicht macht. Aber trotz des zusätzlichen Gewichts gelang es mir, den Tagessieg in der umkämpften Gruppe der fünf unter Sechsjährigen zu erringen.
Ein Triumph, wertvoller vielleicht als ein Sieg im klassischen Olympia, weil mit noch weniger Kleidung errungen. Und lehrreich. Ich erlebte zum ersten Mal, dass man mit einem konkreten Ziel vor Augen eine beinahe unbegrenzte Menge an Peinlichkeiten verdrängen kann - eine immens wichtige Erkenntnis gerade für das bevorstehende Berufsleben.
Egal wie blöd man dabei aussieht, Erfolg rechtfertigt beinahe alles. Oder sagen wir vielleicht besser: Erfolg täuscht über beinahe alles hinweg. Wenn ein Aphrodisiakum bei der körperlichen Liebe hilft, dann hilft Erfolg als Amnesium beim Vergessen.
Für mich war klar: Ich würde später einmal Leichtathlet werden. Leichtathlet und Tierforscher. Mein Leben war vorgezeichnet. Körper und Geist vereint.
Stolz nahm ich den Siegerpokal entgegen, überreicht vom FKK-Präsidenten oder so was Ähnlichem, einem beeindruckenden Silberrücken mit Bauch und Brille.
Auch das Siegesgeschenk war ein Volltreffer: ein Reise-Schachspiel aus Plastik, mit einem grünen Unterboden und einer kleinen Schale zum Ablegen der aus (dem Spiel) gezogenen Figuren auf jeder Seite.
Den abschließenden Sonntag habe ich vor dem Wohnwagen mit Schachspielen verbracht, darunter einige Partien
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