Und was wirst du, wenn ich gross bin
wissenschaftlich, wie Businessenglisch-Parolen wirtschaftlich klingen. Letzteres konnte ich damals natürlich noch nicht wissen.
Genaugenommen gab es eine Menge, was ich nicht wusste, besonders was die erfolgreiche Haltung von ostafrikanischen Dreihornchamäleonen betraf. Chamäleone ist übrigens der unter Fachleuten geläufige Plural von Chamäleon. Das wissen die wenigsten. Ich muss allerdings zugeben, dass das Wissen, das zu wissen, obwohl es nur wenige wissen, mir heute nicht mehr so spektakulär vorkommt wie damals.
Chamäleone jedenfalls sind sehr heikle Tiere, sie brauchen sehr gewissenhafte Pflege, eine optimal an ihre Bedürfnisse angepasste Umgebung, ein präzise simuliertes Klima und ausgesuchtes Futter. Ich hingegen war ein sehr heikler Halter, sehr gewissenhaft in meiner Unzuverlässigkeit, und zu optimal an die Lebensbedingungen von Zehnjährigen angepasst, um ein für beide Seiten günstiges Klima zu schaffen. Otto war zäh, Nina nicht. Sie ging vor ihrer Zeit, und ich grub ein Grab im Garten.
Das »stirb und werde« wirkt deutlich weniger bedrohlich, wenn man in der Tierhandlung ein weiteres Exemplar der Gattung kaufen kann. So fuhr ich nach dem Begräbnis trauernd in die Zoohandlung, um mich mit dem Spontankauf eines weiteren Chamäleonweibchens zu trösten. Annette.
Annette war zwar kein Dreihornchamäleon, dafür aber schwanger. Ich hielt sie kraft meiner Sachkenntnis lediglich für dick.
Bei der Geburt selbst war ich nicht dabei, was damals bei werdenden Vätern durchaus üblich war. Mein Vater beispielsweise hat während meiner Geburt im Kino gesessen und gleich drei Filme am Stück geschaut. Es war eine lange Geburt, vielleicht kommt daher auch meine Macke, Filme immer bis zum Ende ansehen zu müssen, egal wie schlecht sie sind. Bei Annette ging es schneller.
Chamäleone sind ovovivipar (das war damals einer meiner Lieblingssätze!), das heißt, sie werden in einem Eiersack geboren, aus dem sie sofort schlüpfen. Ich wurde auf die Geburt aufmerksam, als mein Bruder brüllte, dass Otto angefangen hätte, die Jungen zu futtern. Und ich meine wirklich futtern, nicht füttern!
Schnell evakuierte ich Otto auf den Zimmervorhang und rettete die verbliebenen Chamäleönchen. Sie wurden in ein kleines Zweitterrarium umgesiedelt. Leider sind Chamäleonjunge noch empfindlicher als Erwachsene, und so verstarben die Kleinen, noch bevor sie Namen hatten. Sie hinterließen jedoch die kleinen Fruchtfliegen, mit denen ich sie gefüttert hatte und die sich, da klimatisch und auch sonst unempfindlicher, noch einige Zeit frei in der Wohnung hielten. In jedem Fall länger als meine Futtergrillenzucht, die wegen der hervorragenden Akustik von Futtergrillenbehältnissen irgendwann auf Anordnung meines Vaters aus dem Haus geworfen wurde mit dem Hinweis:
»Ja, in Italien im Sommer ist Grillenzirpen schön. Trotzdem kommen die weg!«
Die kleinen Fliegen waren sogar zäher als die normalen Fliegen. Das kann ich aus Erfahrung beurteilen, seit ich die Idee hatte, übers Wochenende wegzufahren und eine Schale mit Fliegenmaden ins Terrarium zu stellen, so dass immer wieder mal eine schlüpfen konnte und das Chamäleon regelmäßig ein Häppchen zu essen bekam. Aber aufgrund der leichten Undichtigkeit des Terrariums und einer enormen Schlüpfrate waren nach dem Wochenende ein paar Hundert Fliegen im Terrarium und im Zimmer damit beschäftigt, womit auch immer Fliegen sich beschäftigen. Das überforderte selbst Ottos Hunger und Jagdeifer.
Zum Glück war es Sommer, und man konnte die Fenster ein paar Tage offen lassen. Aber nicht nur die Fliegen gingen oder starben. Annette auch. Wegen einer Milbenplage und geschwächt durch die Geburt, verstarb sie kurz nach den Jungen. Ich begrub sie neben Nina und verzichtete auf weitere Frust-Tierkäufe mit unabsehbaren Folgen.
Otto überstand die Milben und durfte zur Belohnung im Sommer auch mal raus in den Garten. Dort habe ich dann in freier Wildbahn erleben dürfen, was das Chamäleon erst so richtig zum Chamäleon macht: Tarnung!
Otto saß friedlich im Fliederbusch, als mein bester Freund und ich beschlossen, zum Baden zu fahren. Nach fünfzig Metern Radfahrt fiel mir Otto ein, und wir drehten um, um ihn ins Terrarium zurückzubringen.
Nun ist es mit Chamäleonen ein bisschen so wie mit Schlüsseln oder Geldbeuteln, die man vergisst. Wenn einem einfällt, dass man sie vergessen hat, und man schnell zurückgeht, um sie zu holen, sucht man ausnahmslos ewig, weil sie genau
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