Und was wirst du, wenn ich gross bin
gegen mich selbst, die ich allesamt gewann. Zur Sportstätte kehrte ich nicht zurück, ich wollte das junge Glück nicht gefährden.
Das Schachspiel habe ich bis zum Alter von dreißig Jahren besessen. Heute daran denkend, hätte ich es gerne wieder. Schach, Ausdruck des geistvollen Spiels, errungen durch körperliche Höchstleistung. Mens sana in corpore sano. Dabei fällt mir gerade eine weitere Möglichkeit ein, ein solches Reiseschach zu nutzen, um die Freude an Geist und Körper lustvoll zu verbinden: Stripschach. Aber für solche Ideen war ich damals einfach noch zu jung - und auch zu nackt.
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chamäleonzüchter
Ich bin Terrarianer geworden. Zehn ist ein gutes Alter, um erste Schritte in Richtung einer Berufung zu machen, und so habe ich mich, inspiriert von meinem besten Freund, zum Terrarianer ausgebildet. Er war schon vor mir einer, denn er hatte eine Smaragdeidechse namens Willi und dazu ein normales Eidechsenpärchen. Damit erfüllte er die zwei wichtigsten Kriterien eines seriösen Terrarianers, nämlich erstens den Besitz eines Terrariums und zweitens die Haltung von Reptilien, Amphibien, Spinnen oder Skorpionen. Also legte ich mir, um mitreden zu können, ein Terrarium sowie ein ostafrikanisches Dreihornchamäleonpärchen zu. Für einen kommenden Zoologen ein vernünftiger Schritt. Ich nannte sie Otto und Nina.
Sodann machte ich mich an das drittwichtigste Kriterium, nämlich den Erwerb von Sachkenntnis. Mit anderen Worten, ich las Bücher über Reptilien. Eigentlich vor allem eines, es hieß Verzauberte Welt der Reptilien und war voller wunderbarer Anekdoten aus der fremdartigen Welt des Kriechzeugs. Das ermöglichte mir, binnen kurzer Zeit Sätze zu sagen wie:
»Gabunvipern sind besonders gefährlich, weil ihr Gift hämotoxisch und neurotoxisch ist.«
So ein Satz, wenn man ihn Erwachsenen kalt serviert, sorgt erst für Stille, dann für Interesse heuchelnde Anerkennung, gefolgt von Worten wie:
»Das hätte ich nie gedacht!«, oder
»Tatsächlich? Was du alles weißt …«
Und man hat wieder ein bis zwei Stunden Ruhe, um Legoauto-Crashtests mit dem Bruder durchzuführen.
Es handelt sich also um die verfeinerte Version des Dinosaurierprinzips, das man meist im Alter von fünf Jahren lernt: Eltern mit Dinofachwissen stilllegen. Aber da Dinosaurier ausgestorben sind und alle kleinen Jungs sich für Dinos begeistern, ist das wenig originell.
Im reifen Alter von zehn Jahren über tatsächlich existierende Schlangen zu reden, ist da schon beeindruckender und verleiht einem einen Hauch von echtem Außenseitertum, wobei unausgesprochen auch noch die Bedrohung mitschwingt, dass der kleine Reptilienfreund vielleicht auf die Idee kommen könnte, sich zu Weihnachten eine Gabunviper zu wünschen. Das hat viel mehr Zug als der Wunsch nach einem Tyrannosaurus Rex.
Natürlich gab es auch Menschen, mit denen man dann die Fachdiskussion fortsetzen konnte. Nicht nur meinen besten Freund, sondern auch andere Terrarianer, die man traf, wenn man in den einschlägigen Zoohandlungen Futter kaufte, also Fliegenmaden und Grillen. Sofort fühlte man sich als anerkanntes Mitglied eines ausgefallenen Clubs, wo kein Unterschied gemacht wurde zwischen Alter, sozialem Umfeld oder Neigungen. Was zählte, war das gemeinsame Interesse an Tieren, die ein Großteil der Menschheit eklig, bedrohlich und abstoßend findet. Besonders Mädchen gegenüber war es ein großes Vergnügen, die Futtergrillen vorzuzeigen und das entzückte oder ablehnende Grauen in den Augen zu sehen, begleitet von spitzen Ausrufen wie:
»Iiih, tu das weg, bääääh …«
Für Jungs vor der Pubertät grenzt das an Sex.
Erst später sollte ich feststellen, dass die genannte Toleranz unter den Reptilienfutterkaufkollegen auch deshalb angebracht war, weil ein nicht unerheblicher Teil der Clubmitglieder ihre Vogelspinnenzucht oder die Giftschlangensammlung aus dem einfachen Grund unterhielt: Sie waren wirklich Außenseiter oder hatten einen an der Klatsche, und zwar nicht nur Frauen betreffend.
Aber die Sache mit dem Fachsimpeln war eine Vorschau auf ein Prinzip, dessen Wirkung ich siebzehn Jahre später als Unternehmensberater in seiner Vollendung erleben konnte. Wenn man Fachworte verwendet, die nur wenige verstehen, besonders wenn man sie so verwendet, als würde man damit auch duschen gehen, kommt man sich schnell vor, als wäre man Mitglied einer Elite. Einfachste und auswendig gelernte Plattitüden klingen in Terrarianisch ebenso
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