Und was wirst du, wenn ich gross bin
Nazi-Actionfilm ging. Die Gespräche waren sehr fruchtbar, und wenn ich frühzeitig Reichtum erlangt hätte, hätte ich ihm gerne irgendwie Eintrittskarten verschafft. Ich würde es immer noch gerne tun.
Kunst und Werken war Kunst und Werken. Das einzige Highlight war, wie ich einmal beim Kalligraphieren, bei dem jeder einen wichtigen Satz bildlich ausschmücken sollte und die meisten zu Bibelzitaten griffen, den schönen Satz »In einem Kaiserschmarrn hat eine Sultanine nichts verloren« von Gerhard Polt grafisch garnierte. Ich weiß allerdings nicht mehr genau, was ich dem ahnungslosen Kunstlehrer erzählte, um welche altdeutsche Weisheit es sich bei diesem Satz handelte; ich glaube, es war irgendwas mit Heimat.
Der Englischunterricht war erst mühsam und später entspannt, wobei die Tatsache, dass ich mich sehr gut schlug, wohl eher dem Gesamtniveau zugeschrieben werden muss.
Das mit Abstand wichtigste Fach war sicher Sport, da es den sozialen Status bestimmte. Es gab ganz klar eingeteilte Klassen unter den Schülern. Die Oberschichtler, die wurden bewundert, mit denen wollte jeder reden, neben denen wollte zu Mittag jeder sitzen. Durfte aber nicht jeder. Wichtigste Eigenschaft der Jungs in der Oberschicht war Sport, idealerweise war man Mitglied der Basketball- oder American-Football-Schulauswahl, mit Abstrichen folgte Baseball oder Leichtathletik. Je wohlhabender die Eltern waren, umso eher wurde das Schlecht-in-Sport-sein gesellschaftlich toleriert. Bei den Mädchen war es ähnlich, nur mit Aussehen statt mit Sport, wobei auch hier der Reichtum der Eltern körperliche Nachteile ausgleichen konnte.
Dann war da die Mittelschicht, die wurde von der Oberschicht in Maßen toleriert. Das waren dann eher die Begabten, also die teilweise nützlichen, mittelmäßig aussehenden Semicoolen, und die Wasserträger.
Und dann gab es noch die Unterschicht, sprich die Trottel, die Hässlichen, die Künstler und die armen Unsportlichen.
Auf den ersten Blick eine recht simple Leistungsgesellschaft, die meine Pläne, eine Sportkarriere anzustreben, eigentlich unterstützte. Allerdings gab es einen Haken. Es gab nämlich noch eine »Schicht«, die, egal wie gut aussehend der Betreffende war, egal wie reich die Eltern (was sowieso extrem selten war) und vor allem egal wie die sportlichen Leistungen waren, immer zur Unterschicht gehörte. Die Schwarzen, oder wie man zehn Jahre später sagen sollte: die Afroamerikaner. Dieses Schicksal, so befürchtete ich, konnte mir als Ausländer auch blühen. Zwar hatte ich einen Sonderstatus, da alle wussten, nach einem Jahr bin ich weg, aber falls jemand auf die Idee kam, mich als Einheimischen zu betrachten, dann konnte ich mich quasi als »Ersatz-Schwarzer« wiederfinden.
Auf den ersten Blick hatte die Gesellschaft dort nichts Rassistisches. Und als jemand, der seit drei Jahren im Deutschunterricht fast ausschließlich Texte zum Dritten Reich rezipierte, glaubte ich mich da durchaus sensibilisiert. Aber mir fiel doch erst relativ spät auf, dass es Orte gab - beispielsweise die Lokalitäten im historischen Zentrum -, wo man so gut wie keine Schwarzen antraf. Darüber sprach allerdings niemand, zumindest nicht mit mir. Vielleicht hat man mich auch deshalb nicht ins Bild gesetzt, weil bei mir wegen meiner deutschen Herkunft eine gewisse Grundhaltung vorausgesetzt wurde. Sehr oft haben mich Menschen verschiedenster Altersstufen gefragt: »Where are you from?«
»Germany.«
»East or West Germany?«
»West.«
»OK. Are you Nazi?«
Letzteres kam mit der gleichen entspannten Haltung, mit der man bei McDonald’s gefragt wird:
»Einzeln oder als Menü?«
Wenn ich »ja« gesagt hätte, wäre das, so glaube ich, durchaus des Öfteren auf Verständnis gestoßen. Von zu Hause her kannte ich damals Rassismus in Form von Skinheads, die Ausländer verprügeln, was man regelmäßig in den Zeitungen lesen konnte, hirnfreien Neonazis, die fahnenschwingend »Ausländer raus«-Parolen gröhlten und sich mit der Antifa Pflastersteingefechte lieferten, und in Form von verbiesterten Rentnern, die über Asylanten und Arbeitsplätze schwadronierten.
Dort aber erlebte ich zum ersten Mal Rassismus auf dem nächsten Level: einen, über den keiner redet. Der einfach da ist. Mir hat das mal ein Schulkamerad erklärt. Wenn man einem durchschnittlichen Pensacolianer sagen würde:
»Schwarze sind dümmer und fauler als Weiße«, dann ist das von der Aussagekraft her so, als würde man sagen:
»Wusstest du,
Weitere Kostenlose Bücher