Und weg bist du (German Edition)
bis er zu fluchen begann und in sein Telefon schrie.
»Ich habe doch gesagt, ich kümmere mich darum!« Er legte auf und schob das Handy in die Tasche. Als er sich umdrehte und mich erblickte, verfinsterte sich seine Miene. »Belauschst du mich?«
»Meine Lieblingsbeschäftigung.«
Er deutete zum Tisch, auf dem dunkelrote Teller und mit Orangensaft gefüllte Gläser standen. Ich setzte mich, während er Rührei aus der Pfanne in eine flache Schale gleiten ließ. Als ich die gebratenen Bacon-Streifen auf dem Teller neben mir erblickte, wusste ich, woher der köstliche Duft rührte. Bacon war ein weiteres Lebensmittel, das bei Melody tabu gewesen war. Es war eine süße Rache, dass ich wegen meiner Größe, über die sie sich immer lustig gemacht hatte, alles essen konnte und mich nicht dauernd – wie sie – um mein Gewicht sorgen musste.
Ich nahm mehrere Scheiben Bacon, Toast und einen großen Löffel Rührei. »Köstlich«, schwärmte ich nach dem ersten Bissen. »Ich finde es toll, dass du noch immer gern kochst.«
Er antwortete nicht und kaute schweigend weiter. Ich fragte mich, ob er sich wohl wegen des Telefonats ärgerte oder sauer auf mich war, weil ich zugehört hatte. Von dem Noah, den ich gekannt hatte, war nicht mehr viel übrig, das stand fest. Er wirkte so viel härter.
Und nicht nur das. Als wir gemeinsam in Seale House gelebt hatten, war ich ein bisschen größer gewesen als er. Seitdem war er gewachsen und überragte mich jetzt um mindestens fünf Zentimeter. Außerdem war er kräftiger geworden. An Brust und Armen hatte er plötzlich Muskeln, die fünf Jahre zuvor noch nicht zu erahnen gewesen waren.
Zwei Dinge hatten mich früher an Noah immer fasziniert. Zum einen seine tiefe Stimme, die inzwischen sogar noch voller klang. Selbst wenn er wütend war, zog mich seine Stimme an. Zum anderen waren es seine Augen: In ihnen spiegelte sich Tiefe und Intelligenz und sie hatten diese ganz besondere Farbe. Seine Augen waren mir in Seale House gleich am ersten Tag aufgefallen, sogar noch bevor er in den Keller gekommen und wir drei Freunde geworden waren.
Sie hatten einen Braunton, der weder als Schokolade noch als Kaffee zu bezeichnen war, es sei denn, man gab eine große Menge Milch hinein. Hellbraun traf es jedoch auch nicht. Wenn man sie mit einem Wort beschreiben müsste, wäre vielleicht warm am treffendsten. Selbst wenn er wütend oder aufgebracht war und wie ein blutrünstiger Vampir schaute, sprach mich die Farbe noch immer auf vielerlei Ebenen an. Noch nie habe ich jemanden getroffen, der Augen wie Noah hatte.
»Jocey, wenn ich dir die Busfahrt bezahle, fährst du dann wieder nach Hause?«
Mit einiger Anstrengung löste ich den Blick von ihm und starrte auf meinen Teller. Bestürzt stellte ich fest, dass ich fast den gesamten Bacon gegessen hatte, ohne ihn wirklich geschmeckt zu haben.
»Willst du mich unbedingt loswerden? Du hast doch gestern darauf bestanden, dass ich noch einmal mit herkomme.«
»Ich will dich nicht loswerden, aber ich habe den Eindruck, dass du aufgrund deiner Trauer um Jack nicht mehr klar denken kannst.«
»Verstehe. Für dich bin ich also nichts als ein großes Problem. Vielleicht bin ich nie etwas anderes gewesen. Jacks nervige Schwester, die immer dabei sein will.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt.«
»Dritter Freak – fünftes Rad.«
Anstatt zu widersprechen, lächelte Noah und schüttelte den Kopf.
»Was ist?«
»Inzwischen bist du jedenfalls kein Freak mehr. Weißt du noch, wie dich die Mädchen in der Schule immer gehänselt haben?«
Für einen Moment musste ich an die grässliche Schulzeit in Watertown zurückdenken. »Nessa, Monique und Tabby? Und wie hieß die andere noch … Geena?«
Er nickte. »Wenn sie dich jetzt sehen könnten, würden sie ganz still werden. Du siehst besser aus, als sie es jemals tun werden.«
»Warum bist du plötzlich so nett zu mir?«
»Das ist nicht nett, nur ehrlich. Wir haben uns immer alles offen gesagt, stimmt’s?«
»Ja.«
»Du siehst also, wenn ich dir sage, du sollst nach Hause fahren und dich mit deiner Trauer auseinandersetzen, ist das nur die Wahrheit.«
»Glaubst du, dass der Brief von Jason Dezember gefälscht ist? Ein übler Witz?«
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
Ich legte die Gabel ab und stand auf. »Noah, ich rechne es dir wirklich hoch an, dass du mich zwei Nächte bei dir aufgenommen und mir dieses Frühstück gemacht hast. Aber jetzt muss ich weiter nach Jack
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