Und weg bist du (German Edition)
sehe es dir an, dass du gern Nein sagen würdest.«
»Stimmt gar nicht.«
Er suchte in seinem Portemonnaie ein paar Münzen fürs Trinkgeld und stand auf. »Dann lass uns gehen.«
Ich blieb erst einmal zurück und beobachtete, wie er an dem Tisch seiner Freunde stehen blieb und einige Worte mit ihnen wechselte. Der Typ mit der Baseballkappe blickte in meine Richtung und lächelte, während seine Freundin mich stellvertretend für ihre Freundin böse anfunkelte. Noah ging weiter in Richtung Kasse und ich musste mir eingestehen, dass es dumm wäre, wenn ich aus Stolz auf die Übernachtungsmöglichkeit verzichten würde. Also erhob ich mich ebenfalls, hastete an seinen Freunden vorbei, ohne sie anzusehen, und folgte Noah zum Parkplatz.
Ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz, so dass diese Fahrt deutlich bequemer war als die letzte. Während wir aus dem Stadtzentrum hinausfuhren, schwiegen wir beide. Noah hatte das Radio eingeschaltet und ich betrachtete die nächtliche Stadt, die vor dem Fenster vorbeizog. Meine Gedanken kreisten unruhig um ein Thema: Wer hatte Georgie getötet? Hatte der Mann mich vor Georgies Messer gerettet oder eigentlich auf mich gezielt und aus Versehen Georgie getroffen? Und vor allem: Was war mit Jack? Mein Bruder hatte seinen Tod aus einem bestimmten Grund vorgetäuscht und inzwischen war ich mir sicher, dass etwas Ernstes dahinterstecken musste.
Morgen würde ich noch einmal nach Seale House gehen und in Jacks Versteck nachschauen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Beim zweiten Mal würde ich besser vorbereitet sein. Ich beschloss, dass es zwecklos wäre, mir heute noch Gedanken um den Keller zu machen; das konnte ich mir für den nächsten Tag aufheben. In der Wärme von Noahs Wagen versuchte ich mich sogar davon zu überzeugen, dass all die unheimlichen Dinge, die geschahen, von einem Kindheitstrauma ausgelöst worden waren.
Sobald wir bei ihm zu Hause angekommen und hineingegangen waren, sagte Noah: »Du siehst müde aus. Du kannst dich gern gleich hinlegen.«
»Danke.«
»Und vergiss die entzündungshemmende Creme nicht.«
Ich ging ins Badezimmer und nahm als Erstes zwei Schmerztabletten. Dann verarztete ich meine aufgeschürfte Wange und die Hand, so gut ich konnte, und begab mich anschließend in das Zimmer, in dem ich auch die letzte Nacht verbracht hatte. Dort holte ich eins von Noahs T-Shirts aus der Kommode und warf es aufs Bett. Es war sauber und roch nicht nach dem Seale-House-Rauch wie meine eigenen Sachen. Ich zog mich aus und warf alles in eine Ecke. Zwar konnte ich es kaum abwarten, mich endlich hinzulegen, doch als ich nach dem T-Shirt griff, erhaschte ich im Spiegel einen Blick auf meinen Körper. An zahlreichen Stellen war er von Striemen und blauen Flecken gezeichnet. Im schwachen Licht der Lampe untersuchte ich den immer größer werdenden Bluterguss an meiner Hüfte, wo ich bei dem Sturz aufgekommen war, sowie die anderen Schrammen und Prellungen. Schließlich ging ich noch dem Brennen an meinem Oberarm nach und mir blieb fast die Luft weg.
Während ich näher an den Spiegel trat, fiel mir der stechende Schmerz wieder ein, der mich durchfahren hatte, als ich unter der Kellertreppe hervorgekrochen war. Ich starrte auf die Wunde und sofort war die Panik, die ich in dem Loch gehabt hatte, wieder da.
In Dunkelviolett zeichnete sich dort auf meinem Oberarm eindeutig der riesige Abdruck eines Bisses ab.
acht
DER DEAL
Die Straße wand sich vor uns wie ein weißgraues Band und die Landschaft lag in nächtlichem Schatten. Dröhnend fuhr unser Pick-up-Truck die steilen Serpentinen hinauf. Der Mond hing am Himmel wie eine schiefe Kugel zwischen den Sternen.
Ich wusste gar nicht, worum ich mich zuerst sorgen sollte. Unsere Mutter Melody murmelte beim Fahren vor sich hin und brachte in gestammelten Halbsätzen abwechselnd ihr Bedauern, ihre Wut, selbstgerechte Rache und Kummer zum Ausdruck. Hin und wieder lachte sie zynisch und voller Hohn auf, dann schluchzte sie wieder und sang sonderbare unmelodische Liedchen. Noch nie hatte ich sie so erlebt, obwohl wir an seltsame Gefühlsausbrüche von ihr gewöhnt waren. Es machte mir Angst, und was noch schlimmer war: Jack ging es so schlecht, dass er dieses Mal nicht in der Lage war, mir zu helfen.
Zusammengesunken lehnte er an der Beifahrertür und schlief, die Wange am Fenster. Er atmete flach und hatte so hohes Fieber, dass seine Stirn rot war. Ich wünschte, er würde aufwachen und wieder er selbst sein, denn er
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