Und weg bist du (German Edition)
dort lag wie achtlos weggeworfen.« Ich erschauderte. »Und dazu die Rätsel. Ich will unbedingt die Botschaft der Skytale lösen, aber mein Kopf ist zu vernebelt. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.«
»Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Ja, stimmt.« Ich fühlte mich vollkommen entmutigt und musste dringend irgendetwas Beruhigendes hören. »Ich glaube trotz allem noch, dass Jack am Leben ist. Du auch?«
»Ganz ehrlich? Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Nach den ersten Botschaften schienst du Recht zu haben. Aber das zieht sich nun schon zu lange hin. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum er uns so auf die Folter spannen sollte.«
Ein Auto fuhr leise brummend auf der Straße am Haus vorbei. Im Licht der Scheinwerfer verwandelte sich die Dunkelheit kurzfristig in ein mattes Grau. Auf der Suche nach einer einigermaßen bequemen Position drehte ich mich auf die Seite und betrachtete Noah. Er sehnte sich sicher nach seinem Zuhause.
»Da wir ja offenbar beide nicht müde sind«, sagte er nach einer Weile, »könntest du mir doch erzählen, was du im letzten Jahr so gemacht hast?«
Insgeheim freute es mich, dass er so ein Interesse an mir hatte. »Nichts Aufregendes. Wenn man morgens in die Schule geht und nachmittags ein Praktikum absolviert, bleibt nicht viel Zeit übrig. Außerdem macht meine Pflegefamilie am Wochenende gern Ausflüge und ich helfe dann immer bei der Betreuung der jüngeren Kinder. Jack ist auch oft mitgekommen.« Wieder kamen mir die Tränen, aber ich wollte vermeiden, dass Noah es bemerkte. »Wann immer es geht, bin ich auch gern mit meinen Freunden zusammen.«
»Was sind das für Leute?«
»Auf ihre Art sind sie cool. Die meisten von ihnen sind weibliche Nerds.«
»Was sind denn weibliche Nerds?«
»Mädchen, die sich zwar nicht unbedingt wie Jungs benehmen, aber sich für nerdiges Computerzeug interessieren.«
Er lächelte. »Stimmt, das passt. Und hast du auch männliche Freunde?«
»Ein paar. Wir sind so eine Clique. Mit ihnen sollte ich im Moment eigentlich beim Zelten sein.«
Kurz fragte ich mich, ob sie wohl Spaß hatten, im Lagerfeuer Marshmallows rösteten und sich über ihre Lieblings-Computerspiele unterhielten. »Manchmal treffen wir uns bei einem von ihnen zu Hause, wir nennen das ›Nerdmeeting‹. Aber eigentlich ist es nur eine LAN-Party, einige vernetzen ihre Rechner und spielen dann mit- und gegeneinander. Allerdings wird das jetzt erst einmal flachfallen, weil wir nach den Ferien alle sehr mit der Schule beschäftigt sein werden. Neben Abschlussprojekt und Prüfungen werden wir nicht viel Zeit haben.«
Noah musterte mich.
»Was ist?«
»Du hast dich sehr verändert. Manchmal blitzt noch die alte Jocey auf und du bist wie früher, aber in vielem bist du ganz anders geworden. Selbstbewusster.«
Lächelnd zuckte ich mit den Schultern. »Länger an ein und demselben Ort zu leben hilft dabei. Einige Dinge, die ich sehr genieße, sind für die meisten ganz normal. Zum Beispiel esse ich gern gemeinsam mit einer normalen Familie, auch wenn es nicht wirklich meine eigene Familie ist. Ich freue mich darüber, ein eigenes Zimmer und saubere Kleidung zu haben. Und neue Schuhe zu bekommen, wenn ich welche brauche. Und nicht das Gratis-Essen für Hilfsbedürftige in Anspruch nehmen zu müssen. Solange ich bei Leuten wie den Habertons bin, macht es mir nichts aus, in einer Pflegefamilie zu wohnen.«
»Darf ich dich etwas fragen, was mich schon immer interessiert hat?«
»Klar.«
»Warum seid Jack und du in Seale House gelandet? Damals habe ich euch nie danach gefragt. Niemand hatte Lust, zu erklären, warum das Jugendamt entschieden hat ihn oder sie in eine Pflegefamilie zu schicken. Ich wollte das Thema mit Jack beim Chatten ansprechen, aber irgendwie hat es nie gepasst.«
Hellgraue Schatten huschten über die Wand, als ein weiteres Auto vorbeifuhr. Schließlich antwortete ich. »Es war wegen Erv.«
Noah setzte sich langsam auf und starrte mich an. »Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass es Erv wirklich gibt, oder?«
dreiundzwanzig
WAHRHEIT
»Noah, geht nicht dort rein«, warnte Georgie, »Juliann hat gerade den ganzen Boden im Bad vollgeervt.«
»Danke für die Warnung.« Noah blickte Jack und mich an und sagte: »Dieser Virus breitet sich wirklich schnell aus. Wir werden heute bestimmt noch fünf Mal Erv aufwischen müssen.«
Wir lachten und Noah wunderte sich, warum wir Erbrochenes witzig fanden. Für Jack und mich, und bald auch für die
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