...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
was Neues probieren«, lachte Tanja.
»Und da hast du es einfach getan?« Kanters Verwunderung war echt.
»Ja.« Tanja nickte. »Michaela und ich gehen nach oben zu mir. Ach – was wolltest du mir denn sagen?«
»Morgen Vormittag kommt ein Klempner, um nach der Heizungsanlage zu sehen. Könntest du dich um den Mann kümmern? Ich fliege zeitig nach London.«
»Ist gut, mach ich.« Sie winkte Michaela. »Komm mit.« Michaela griff sich den Teil der Einkaufstüten, den Tanja nicht mehr tragen konnte, und folgte ihr ins Haus. Dort blieb sie erst einmal fasziniert stehen.
Sandfarbener Marmorfußboden ließ den ohnehin riesigen Eingangsraum noch größer wirken. An den hohen, weißen Wänden hingen Bilder moderner Kunst. Man fühlte sich wie in einer Galerie. Eine Treppe führte nach oben. Die gingen sie jetzt hinauf.
»Das sündige Stück steht in meinem Schlafzimmer«, verkündete Tanja oben angekommen.
Auf Michaelas fragenden Blick erklärte sie: »Na, mein Kleiderschrank.«
»Ach so, ja klar.« Michaela bemühte sich um Fassung. Natürlich wusste sie, dass Walter Kanter und seine Tochter in einem luxuriösen Haus wohnten. Sie hatte sich nur nie eine klare Vorstellung gemacht, wie luxuriös. Wozu auch?
Tanja ging weiter vor. Um sich nicht anmerken zu lassen, wie beeindruckt sie von dieser Umgebung war, versuchte Michaela sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Zum Beispiel auf Tanja. Die, wie Michaela ironisch feststellte, die erste Frau war, die sie unumwunden in ihr Schlafzimmer dirigierte, und nicht das Eine wollte. Der umgekehrte Fall war ihr vor Vanessa öfter passiert.
Tanja öffnete eine Tür. Michaela betrat hinter ihr das helle, selbstredend große, aber dennoch gemütlich wirkende Zimmer. Sie ließen beide fast synchron die Tüten, die sie in der Hand hatten, fallen. Tanja plumpste aufs Bett. »Ich bin total groggy!«
»Es heißt nicht umsonst: Wer schön sein will, muss leiden«, sagte Michaela ganz in Gedanken versunken. Sie stand mitten im Zimmer und fühlte sich völlig deplatziert. Gleichzeitig quälte sie permanent die Frage, warum sie sich nicht endlich dazu durchringen konnte, den Handel mit Tanjas Vater als null und nichtig zu betrachten.
Wie bestellt kam Michaela der bequeme Gedanke, dass Tanja ja nur Vorteile aus der Geschichte erwuchsen. Gerade genoss sie einen Teil der Verschwörung: ihr neues Aussehen. Der andere Teil, der Besitz einer Hotelkette, war wohl auch zu »verschmerzen«. So gesehen war alles nicht so schlimm, versuchte sie sich zu beruhigen. Solange Tanja nichts von der Absprache mit Kanter erfuhr.
Und sie wird es nicht erfahren. Ihr Vater erzählte ihr ganz gewiss nichts und sie, Michaela, – nun das lag ganz bei ihr.
Dennoch verfolgte Michaela die Furcht vor dem Ausdruck in Tanjas Augen, in dem Moment wenn sie – vielleicht durch einen dummen Zufall – die Zusammenhänge mitbekommen würde, den Ausdruck von jemanden, der die Welt nicht mehr verstand.
Nachdem sie mit Tanja deren Kleiderschrank ausgemistet hatte, verabschiedete sich Michaela eilig von ihr. Die ganze Heimfahrt über fluchte sie in sich hinein. Was aber auch nicht half, einen endgültigen Entschluss zu fassen. Egal welchen – nur eben endgültig.
Vanessa begrüßte Michaela mit den Worten: »Na? Kann ich schon mal unsere Koffer packen?«
»So witzig ist das nicht«, fuhr sie Vanessa an. Die legte die Stirn in Falten. Michaela versuchte ihren Anfall von schlechter Laune zu erklären. »Tanja fängt an mir zu vertrauen. Wer weiß, vielleicht werden wir wirklich Freundinnen. Und dann – dann soll ich sie in die Pfanne hauen. Was glaubst du, wie ich mich dabei fühle?«
»Ach so, ich dachte schon, du machst dir Sorgen um diese Tanja.«
Das kommt noch dazu, dachte Michaela, hielt sich aber zurück, Vanessa auch davon zu erzählen. Warum sie es verschwieg, wusste Michaela nicht so recht. Sie hatte wohl keine Lust auf Vanessas spitze Bemerkungen, wenn sie zeigte, wie sehr Tanja ihr am Herzen lag.
»Sieh es mal so«, sagte Vanessa. »Eigentlich ist die kleine Verschwörung, die ihr Vater angezettelt und in der er dich zur Handlangerin gemacht hat, keine Verschwörung. Ihr helft der Kleinen nur ein wenig auf die Sprünge. Wie es so schön heißt: Wo kein Ankläger, da kein Angeklagter. Du brauchst dich also nicht mies zu fühlen.«
Michaela seufzte. Ja, so ähnlich hatte sie sich ihren unrühmlichen Rückfall zu den noch unrühmlicheren Hintergedanken bereits selbst schöngeredet. Allerdings
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