...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
schien auch Tanjas krankes Bein weniger auffällig. Wahrscheinlich, weil deine Augen mehr an den zu ihren Brüsten gehörenden Wölbungen kleben. Mit Gewalt riss sie sich von dem Anblick los. »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
»Ja, gern.«
Michaela legte die Blumen erst einmal beiseite. Sie bereitete die Kaffeemaschine vor und schaltete sie an. Anschließend suchte sie eine Vase für die Blumen.
Tanja stand immer noch abwartend hinter ihr.
»Setz dich doch«, forderte Michaela sie auf.
Tanja tat es, sie setzte sich an den Küchentisch.
Michaela fand eine Vase, füllte sie mit Wasser, setzte die Blumen hinein. »Womit habe ich die eigentlich verdient?« fragte sie und stellte den bunten Strauß auf den Tisch.
Tanja lächelte. »Ich wollte mich irgendwie bei dir bedanken. Mir fiel nichts Besseres ein.«
»Du brauchst dich nicht zu bedanken. Ich habe nichts weiter getan, als dir einen Rat zu geben. Früher oder später wärst du schon selbst dahinter gekommen.«
»Ich glaube, eher später, falls überhaupt.«
Michaela setzte sich Tanja gegenüber, wechselte das Thema. »Was ist eigentlich mit deinem Auto?« fragte sie.
»Bekomme ich morgen wieder.«
»Schön. Hoffentlich sieht man keinen Unterschied im Lack vom neu lackierten Kotflügel zum Rest.«
»Wäre mir auch egal. Ich danke dem Zufall für unseren Zusammenstoß.«
Michaela lächelte gezwungen. Zufall, ja, wenn es mal so wäre! Dann könnte sie es genießen, Tanja näher kennenzulernen. So war es etwas kompliziert.
»Du bist der erste Mensch, der sich Zeit für mich genommen hat, ohne etwas dafür zu wollen«, sagte Tanja leise.
Michaela hielt das nicht mehr aus. Sie konnte Tanja jetzt unmöglich in die Augen sehen, also stand sie auf und ging zur Kaffeemaschine, die im passenden Moment zu röcheln begann. Sie nahm zwei Tassen aus dem Schrank, goss ein, stellte Tanja eine der Tassen hin, behielt die zweite in der Hand, lehnte sich, in sicherem Abstand, an die Arbeitsplatte der Küchenzeile. So würde Tanja hoffentlich ihre Unruhe nicht bemerken.
Tanja fuhr fort. »Jemanden wie dich zur Freundin zu haben, habe ich mir immer gewünscht. Ich mag dich richtig gern.« Es klang kindlich glücklich, wie Tanja die Worte aussprach. Und es bestand kein Zweifel, dass sie es absolut nicht sexuell meinte. Sie wählte ihre Worte, wie sie ihr einfielen, von Herzen, ohne sich Gedanken über mögliche Interpretationen zu machen. »Und du? Magst du mich auch?«
Das war jetzt wirklich zuviel für Michaela. Was sollte sie darauf sagen?
Ihr fehlte Tanjas Arglosigkeit, um einfach mit ja antworten zu können. Überhaupt: Tanja sollte mit ihren fünfundzwanzig Jahren solche Frage nicht an Leute richten, die sie eigentlich kaum kannte. Wusste sie nicht, dass sie damit Verlegenheit erzeugte?
Vielleicht ist dir die Frage aber nur deshalb so unangenehm, weil sie dir zeigt, dass es für deine neue Strategie bereits zu spät ist.
Die Hoffnung, ihre Beziehung zu Tanja würde von selbst einschlafen, konnte sie jedenfalls begraben. Tanjas Besuch, und vor allem ihr offenes Geständnis, ließen keinen Zweifel aufkommen: Sie betrachtete Michaela als ihre Freundin, einer, der sie ohne Umschweife ihr Herz ausschüttete.
Gratuliere, Michaela! Du bist genau da, wo du ursprünglich hinwolltest. Nun sieh zu, wie du den Geist, den du riefst, wieder loswirst.
Am einfachsten wäre es gewesen, Tanja die Wahrheit zu sagen. Dass Michaela eine Abmachung mit Tanjas Vater hatte. Dass ihre Bekanntschaft kein Zufall war. Dass sie sich mit Tanja in seinem Auftrag angefreundet hatte. Dass sie sich selbst dafür verachtete und am liebsten alles ungeschehen machen würde.
All das müsste sie nur sagen, und es war vorbei – doch Michaela konnte es nicht. Sie konnte nicht in Tanjas enttäuschtes Gesicht sehen, das ein solches Geständnis unweigerlich mit sich bringen würde.
Ein Gedanke huschte durch Michaelas Kopf: Aber wenn Tanja noch andere Freunde und Freundinnen hätte, dann würde der Verlust der einen doch nicht mehr so sehr ins Gewicht fallen. Sie müsste nur ein paar neue Leute kennenlernen. Dann ergab sich der Rest ganz von selbst. So, wie Tanja jetzt aussah, würde sie nicht mehr von allen übersehen werden. Im Gegenteil.
»Ich habe eine Idee«, sagte Michaela aus ihrem Gedanken heraus. »Hast du heute Abend schon etwas vor?«
Tanja schüttelte irritiert den Kopf. Sie hatte auf ihre Frage eine andere Reaktion erwartet. »Nein«, antwortete sie.
»Jetzt schon. Mach dich hübsch.
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