...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
dem Absatz kehrtmachen, nach Berlin zurückfahren und ihren Vater zur Rede stellen würde.
Michaela war im Grunde, wie Walter Kanter auch, der Meinung, Tanja gehörte in die Firma. Mit ihrem Widerstand schadete sie sich nur selbst. Michaela war mittlerweile auch überzeugt, Tanja war wie geschaffen für die Aufgabe, die auf sie wartete. Sie hatte einen klaren Verstand, Urteilsvermögen und vor allem Herz. Tanja suchte ihren Platz im Leben. Kanters Hotelgruppe war ein guter Platz. Und wenn Tanja nun, endlich!, an einem »Schnupperkursus« interessiert war, aus welchem Grund auch immer, war es da nicht unverantwortlich, mit ihrer Beichte alles aufs Spiel zu setzen?
»Und was wolltest du mir sagen?« fragte Tanja in Michaelas Gedanken.
Michaela lächelte so unbefangen wie irgend möglich. »Ich . . . ich bin froh, dass du da bist. Es sah nämlich so aus, als könnte ich hier die nächsten Wochen nicht weg, also nicht nach Berlin, und dich deshalb nicht besuchen.« Tanjas warmer Blick umfing Michaela wohltuend. Unter dem Einfluss dieses Blickes verdrängte Michaela schnell die Tatsache, dass Tanjas unerwarteter Entschluss nur ein willkommener Vorwand war, von der geplanten Beichte Abstand zu nehmen. Feigling! rief es in ihr. Doch Michaela ignorierte es. »Wir werden den Personalchef des Hotels ins Vertrauen ziehen müssen«, sagte sie.
»Glaubst du, er spielt mit?«
Michaela zwinkerte Tanja zu. »Er wird es sich mit der zukünftigen Chefin ja nicht verderben wollen.«
Tanja dämpfte Michaelas Optimismus. »Noch ist nicht raus, ob mehr daraus wird.«
12.
M ichaela trug dem Personalchef Tanjas Anliegen gleich am nächsten Morgen vor, nicht ohne zu erwähnen, dass ihr, angesichts der bevorstehenden Wohltätigkeitsveranstaltung in zwei Wochen, eine zusätzliche Hilfe sehr willkommen wäre. »Frau Kanter kann problemlos das Mädchen für alles abgeben. Ich sage auch in den anderen Abteilungen Bescheid. Ansonsten nehme ich sie einfach unter meine Fittiche.«
Dem Personalchef stand deutliche Verwunderung im Gesicht geschrieben. »Ehrlich gesagt, ich bin verwirrt. Sie wissen, dass Frau Kanter ursprünglich die Stelle zugedacht war, die Petermann besetzte und die Sie jetzt innehaben?«
»Ja, das ist mir bekannt«, bestätigte Michaela in ruhigem Ton.
»Sie lehnte ab. Ihr Vater erklärte mir, Frau Kanter bräuchte noch etwas Zeit, bis sie in die Firma eintreten würde. Ich hatte nicht den Eindruck, er meinte damit lediglich ein paar Wochen. Da Kanter Sie schickte, Petermann abzulösen und nicht seine Tochter, schloss ich daraus, dass sich daran nichts geändert hat. Ich habe auch nichts Gegenteiliges von Herrn Kanter gehört. Wie kommt es, dass Frau Kanter ihre Ansicht so plötzlich revidiert?«
»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen«, erklärte Michaela. Natürlich hätte sie gekonnt. Doch diese Erklärung hätte alles nur noch komplizierter gemacht.
»Aber Sie kennen sie doch offenbar näher?«
»Ja, das würde ich sagen.«
»Können Sie mir dann wenigstens sagen, warum Frau Kanter ihre Zeit verschwenden und als Trainee beginnen will? Und, falls es erlaubt ist zu fragen, warum darf Herr Kanter nichts erfahren?«
»Ich vermute, sie will keine falschen Hoffnungen in ihrem Vater wecken. Und dass sie nicht gleich als Wirtschaftsdirektorin, sondern lieber etwas darunter anfangen will, mal ehrlich, das ist doch eigentlich sehr vernünftig.«
Der Personalchef wog leicht den Kopf hin und her. »Na ja.«
Michaela ahnte, wo ihn der Schuh drückte. Er befand sich in einem Dilemma. Entweder zog er sich den Unwillen des amtierenden Chefs zu oder den der zukünftigen Chefin. Und richtig. Seine nächste Frage bestätigte Michaelas Vermutung. »Glauben Sie, Kanter würde das Ganze gutheißen?«
»Ja, das glaube ich ganz bestimmt«, sagte Michaela, und sie war wirklich davon überzeugt. Für Kanter war es sicher nebensächlich, wie Tanjas Einstieg in die Firma aussah. Hauptsache Einstieg.
Michaela fand Tanjas Idee sehr brauchbar. Nicht die, als Zimmermädchen zu beginnen, aber doch mehr in den unteren Rängen. Tanja hatte zwar ein abgeschlossenes Hochschulstudium, aber keinerlei Branchenerfahrung. So ein Traineeprogramm war im Grunde genau das richtige. Viele Absolventen, die später mal ins Management wollten, begannen so. Kanter wollte seine Tochter sofort auf eine leitende Position setzen. Es durfte gezweifelt werden, ob das so eine gute Idee war.
»Nun, wenn Sie so überzeugt davon sind . . .«, sagte der
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