Und wenn es die Chance deines Lebens ist
wahr, dass ich mit meinen Windbeuteln etwas verändern kann. Weißt du, wie viele Windbeutel ich heute gebacken habe?«
»Keine Ahnung. Zwei Dutzend?«
»83.«
Dorothée riss vor Staunen den Mund auf. »83?«
»Ich habe die Windbeutel sozusagen als Therapie gebacken. Jetzt stellt sich die Frage, wer sie alle essen soll.«
»Ich esse deine Windbeutel wahnsinnig gern, mein Schatz, aber ich muss auf meinen Blutzuckerspiegel achten.«
»Die Leute im Krankenhaus«, stieß Pétronille hervor.
»Die Leute im Krankenhaus? Jetzt sag nicht, du willst noch einmal nach Pontoise fahren.«
»Ich habe 80 Windbeutel und weiß nicht, wem ich sie schenken soll. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei: Pistazie, Erdbeer, Vanille, Schokolade und Mokka. Und fast ein Kilo Krokant. Wer hat denn gesagt, dass bald Weihnachten ist und dass es Leute gibt, die ganz allein sind und sich über Windbeutel freuen würden?«
»Ja, aber nur, weil du diesen Bericht schreiben musstest ...«
»Eben! Und genau das war mir dabei auch irgendwie peinlich. Jetzt hingegen werde ich sie ganz ohne Hintergedanken verschenken. Ist das nicht toll?«
»Meinst du wirklich, dass du vollkommen selbstlos handelst?«, fragte Dorothée argwöhnisch. »Geht es dabei nicht doch irgendwie darum, diesen Frédéric zu beeindrucken?«
»Nein, ich schwöre. Hand aufs Herz. Jetzt fühle ich mich richtig gut. So richtig gut, Do. Ich finde das fantastisch. Das ist meine Schatzkarte, verstehst du? Ich eröffne ein kleines Geschäft, in dem ausschließlich Windbeutel verkauft werden, einen schicken Laden, ein bisschen so wie Ladurée, verstehst du? Und von jedem verkauften Windbeutel geht ein bestimmter Prozentsatz des Erlöses an das Krankenhaus. Wir gründen einen Verein und verteilen an den Wochenenden und ab und zu auch mittwochs kostenlos Windbeutel an die Patienten zum Probieren. So ähnlich wie eine Suppenküche für Arme. Nur in dem Fall eben mit Windbeuteln für Kranke, verstehst du? Und dann ...«
Endlich gelang es Dorothée, Pétronille zu überreden, aufzustehen und ihren Mantel anzuziehen. Ohne auch nur einmal Luft zu holen, während sie über ihre Pläne sprach, die Welt mit ihrem Windbeutelteig zu beherrschen, verließ Pétronille mit ihrer Schwester die Cocktailbar. Selbst der noch immer in dicken Flocken fallende Schnee konnte ihre Begeisterung für ihre Ideen der Nächstenliebe nicht dämpfen. Schließlich kamen sie bei Dorothée an und schlüpften aus ihren Stiefeln. Dorothée holte Bettzeug und gab ihrer Schwester einen Kuss auf die Stirn. Pétronille war mittlerweile verstummt und plumpste erschöpft auf die ausgezogene Schlafcouch.
Am nächsten Morgen stand Dorothée erst um halb zehn auf. Ihr Mann Romain war schon zur Arbeit gefahren. Sie hatte gar nicht gehört, dass er gegangen war. Das war einer der Vorteile des Mutterschaftsurlaubs. Niemand nahm es einer schwangeren Frau übel, wenn sie lange schlief. Romain schon gar nicht. Er war seiner geliebten Frau gegenüber noch aufmerksamer, seitdem er das blaue Kreuz auf dem Schwangerschaftstest gesehen hatte. Dorothée lauschte, ob sie Geräusche im Wohnzimmer hörte. Nein, es war nichts zu hören. Pétronille schlief noch. Dorothée machte sich derweil Gedanken über die Tagesplanung. Wenn Pétronille vor halb elf aufwachte, könnten sie irgendwohin gehen, um gemeinsam ausgiebig zu frühstücken. Aber nein, das war eher unwahrscheinlich, denn sie hatte mit Sicherheit einen mächtigen Kater. Es war wohl das Beste, wenn sie Croissants besorgte. Dorothée fragte sich, ob Pétronille sich noch an ihren Plan erinnerte, die Welt mit ihrem Windbeutelteig zu erobern. Sie war so beschwipst gewesen, dass sie sich wahrscheinlich an gar nichts mehr erinnerte. Jedenfalls, sagte Dorothée sich, als sie ihren Morgenmantel überzog und in Richtung Wohnzimmer ging, hatten sie wieder einmal einen schönen gemeinsamen Abend verbracht.
Als Dorothée das Wohnzimmer betrat, bekam sie einen Schreck. Pétronille war verschwunden. Auf der Schlafcouch lag neben den zusammengefalteten Decken ein Zettel:
Bin unterwegs, um die Welt mit meinen Windbeuteln zu retten! Küsschen, Schwesterherz :-)
Frédéric legte den Hörer behutsam auf und sah sich in seiner großen Wohnung um. Der Tag ging schon zur Neige. Er hatte sehr lange telefoniert und gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war. Im Dämmerlicht des Spätnachmittags starrte Frédéric auf den Sisley, der ihm schon bald nicht mehr gehören würde, sofern nicht ein
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