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Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Titel: Und wenn es die Chance deines Lebens ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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besser. Der Windbeutel schmeckte himmlisch – wie immer. Aber was nutzte es ihr, leckere Windbeutel backen zu können? Pétronille aß noch einen und nahm sich vor, anschließend zum Bahnhof zu gehen. Kaum hatte sie sich den mit köstlicher Mokkacreme gefüllten Windbeutel in den Mund geschoben, da ertönte vor ihr eine Männerstimme, die sie zusammenzucken ließ.
    »Gefüllte Windbeutel? Mylady, Sie haben doch bestimmt genug für die ganze Mannschaft!«
    Pétronille hob langsam den Blick. Zuerst sah sie Lederstiefel, dann einen breiten Ledergürtel, unter dem eine alte Pistole steckte, eine rote Weste mit goldenen Knöpfen und schließlich ganz oben einen großen schwarzen, bärtigen Kopf, auf dem ein Piratenhut saß. Im ersten Moment glaubte Pétronille, der Restalkohol in ihrem Blut spiele ihr einen Streich.
    Sie hörte auch leises Lachen. Mehrere Kinder mit kleinen Piratenhüten und umgeschnallten Säbeln über ihrenSchlafanzügen versteckten sich hinter der Gestalt. Pétronille beruhigte sich wieder. Das musste der Piraten-Workshop für die kranken Kinder sein.
    »Bedienen Sie sich«, sagte sie mit vollem Mund.
    »Haben Sie auch andere Sorten?«, fragte eines der Kinder.
    »Haben Sie auch welche mit Erdbeermarmelade?«, wollte ein anderes Kind wissen.
    »Erdbeermarmelade, Vanille, Pistazie und ... Schokolade«, sagte Pétronille.
    Die Kinder rissen begeistert die Augen auf, als Pétronille die drei Frischhaltedosen öffnete.
    »Wollen Sie die alle essen, Madame?«, fragte ein anderes Kind.
    »Nein, die Windbeutel sind für Freunde.« Pétronille lächelte. »Aber auch für euch.«
    »Erinnert ihr euch an das Gesetz der Freibeuter, meine kleinen Schiffsjungen?«
    »Die Beute teilen!«, schrien die Kleinen im Chor.
    Der große Pirat reichte Pétronille seine kräftige Hand. »Bertrand Ahmed. Ich werde Kapitän genannt. Darf ich ein paar von Ihren Köstlichkeiten für meine Matrosen mit an Bord nehmen? Ich zahle jeden Preis.«
    Pétronille reichte ihm eine Frischhaltedose mit 20 Windbeuteln, die mit Erdbeerkonfitüre gefüllt waren. »Mit den besten Empfehlungen des Hauses.«
    Der Kapitän lächelte, verbeugte sich und ging mit den Kindern davon. Ein kleines Mädchen, dem der dreieckige Hut in die Stirn gerutscht war, drehte sich noch einmal um und winkte.
    Pétronille blieb mit den 60 restlichen Windbeuteln zurück. Der Kapitän hatte sie verzaubert. Wenn ein Erwachsener sich als Pirat verkleiden konnte, um die Kinder in diesem Krankenhaus aufzuheitern, konnte sie auch ihre Windbeutel verteilen. Drei Minuten später klopfte sie an die Zimmertür von Ernest Villiers.
    »Herein!«
    Mit pochendem Herzen stieß Pétronille die Tür auf. Sie erkannte den Mann wieder, den sie vor drei Tagen zum ersten Mal gesehen hatte. Er war wach und lächelte. Heute fiel ihr auf, dass Ernest und Frédéric sich ein wenig ähnelten.
    »Ah, Sie sind die junge Frau mit den Windbeuteln«, sagte Ernest nach Atem ringend mit einem ruhigen, fast besänftigenden Lächeln. Er lag vollkommen reglos im Bett, nur seine Augen strahlten.
    »Pétronille«, sagte sie und streckte die Hand aus.
    »Ernest«, erwiderte er und reichte ihr seine knochige, von pergamentener Haut überzogene Hand, die erstaunlicherweise noch kräftig zudrücken konnte.
    »Ich dachte mir gleich, wer so leckere Windbeutel backt, sieht bestimmt auch hübsch aus. Und ich habe mich nicht getäuscht.«
    »Heute habe ich Windbeutel mit Mokka-, Vanille- und Schokoladencreme mitgebracht«, sagte Pétronille und errötete.
    »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen alten Dummkopf wie mich zu verwöhnen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese köstlichen Windbeutel überhaupt verdient habe.«
    »Ich habe keine Ahnung, ob Sie sie verdient haben oder ob nicht. Es ist wie vor Gericht. Im Zweifel wird zugunsten des Angeklagten entschieden.«
    Ernest lächelte. Ihre Antwort hatte ihm offenbar gefallen. Jetzt fiel die Unsicherheit von Pétronille ab, und sie unterhielten sich unbefangen. Sie erklärte Ernest, dass sie Konditorin werden wolle und vorhabe, eines Tages ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Dass sie immer zu viele Windbeutel backe, dass sie alleine lebe und ihre Familie schon keine Windbeutel mehr sehen könne. Daher war sie auf die geniale Idee gekommen, ihren potenziellen Kundenkreis zu vergrößern und ihn auf wehrlose Opfer ihrer Backkünste auszudehnen. Pétronille spürte, dass dieser Fremde ihre Gesellschaft genoss, und das machte sie glücklich. Ernest sprach über

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