Und wenn es die Chance deines Lebens ist
seine Augen nicht ausreichten, um den Park im Ganzen zu betrachten. Er genoss die Stille. Ohne es zu bemerken, verharrte er andächtig. Er versuchte, mit dem verehrten Künstler Kontakt aufzunehmen, dem verstorbenen Besitzer dieses Gartens, begraben in Giverny auf dem Friedhof hinter der Kirche. Wie konnte es sein, dass Frédéric ihn auf der kleinen Brücke stehen sah, seine imposante Silhouette mit dem buschigen Bart, versunken in die Betrachtung seines Wasserparadieses?
Ein Vogel schrie, und in der Ferne begann ein Motor zu heulen. Frédéric begriff, dass er auf der Brücke nicht Monets Geist erblickte, sondern dass dort tatsächlich jemand stand. Als er auf der Brücke anlangte, war die Gestalt verschwunden.
Pétronille war beunruhigt. Ernest schien erschöpft zu sein. Er hustete immer häufiger. Offenbar strengte ihn das Gespräch sehr an. Doch sie spürte, dass er das Bedürfnis hatte fortzufahren. Pétronille erinnerte sich an die Worte des Arztes. Der Mann in diesem Bett würde nur noch wenige Wochen leben. Sollte sie ihm weiter zuhören oder den Zauber brechen und ihm vorschlagen, sich auszuruhen? Als Ernest den Mund öffnete und fortfuhr, hörte sie ihm wieder gebannt zu.
»Ich kehrte in den Garten zurück. Der Amerikaner war noch da. Ohne sich umzudrehen, sprach er mich mit seinem ausgeprägten amerikanischen Akzent an.
›Haben Sie einen grünen Daumen, wie man hier sagt?‹
›Nein, leider nicht‹, erwiderte ich. ›Andere legen Gärten an, und ich beschränke mich darauf, sie zu bewundern.‹
›Ah, dann haben Sie also ein grünes Auge. Könnte man das so sagen?‹
Ich begann zu lachen, und er drehte sich um.
›Ja, ich glaube, so könnte man es ausdrücken. Ich habe gehört, dass Sie ein großes Projekt ins Leben gerufen haben.‹
Der Fremde drehte sich wieder um und setzte seine Arbeit fort.
›Sind Sie Künstler?‹, fragte er mich.
›Nein, nein. Auch auf diesem Gebiet bin ich nur ein Bewunderer.‹
›Meine Eltern wollten, dass ich Maler werde. Sie lieben die Malerei sehr. Meine Großmutter besaß vor ihrem Tod Gemälde von Monet. Ich habe die Farben und das Licht intensiv studiert, aber mir fehlt das Talent, you understand? Nun bin ich nach Giverny gekommen und hatte gehofft, hier mein Talent zu entdecken, doch das ist nicht geschehen. Stattdessen hat der Garten mich entdeckt. Also habe ich meine Pinsel weggeworfen und das hier genommen, um dem Garten Farben und Licht einzuhauchen.‹ Er zeigte mir seine kleine Hacke.
›Kaum zu glauben, dass dieses Fleckchen Erde einst Monets Garten war‹, sagte ich nachdenklich.
›Man muss daran glauben‹, erklärte er mir und schaute mir in die Augen. ›Man muss daran glauben, mein Freund.‹ Er stand auf. ›Sehen Sie sich den Blumengarten dort an. Die Farben sind noch da. Der Winter verbirgt sie nur. It’s like a sketch – eine Skizze, verstehen Sie? Auch die Seerosen werden eines Tages wieder blühen. Vielleicht dauert es zwei, zehn oder sogar fünfzig Jahre. Die Zeit spielt keine Rolle. Man muss nur daran glauben.‹
Der Mann streifte einen Handschuh ab und wühlte in der Tasche seines erdverschmierten Mantels. ›Ich möchte Ihnen etwas zeigen.‹
Er zog einen Plan des Gartens aus der Tasche, der schon einige Löcher aufwies, weil er vermutlich unzählige Male auseinander- und zusammengefaltet worden war. Der Plan war so groß, dass der Mann beide Arme zur Seite ausstrecken musste, damit man alles sehen konnte. Er hatte Bilder von Monet auf den Plan gemalt und an einigen Stellen behutsam Fotos aus der Zeit des Malers und Fotokopien von Auszügen aus dessen Briefen aufgeklebt. In eleganter Schönschrift standen dort die Namen der Jahreszeiten: Winter , Summer , Spring , Fall . Ich sah auch andere Wörter wie Fleeting , Serendipity , Eternal , Joy und ein paar Schriftzeichen – wahrscheinlich aus dem Japanischen. In der Mitte prangte ein feuerrotes Herz, vielleicht gehörte es der Schutzpatronin der Gärten.
Er faltete den Plan wieder zusammen.
›Dieser Garten hat existiert, weil Monet die Idee dazu hatte‹, sagte er voll Ehrfurcht. ›Er hat geliebt, was noch unsichtbar war, verstehen Sie? Niemals zweifelte er daran, dass aus diesem Fleckchen Erde eines Tages dieser Garten werden würde. Ich stelle ihn mir auch vor und glaube daran, diesen Garten zu neuem Leben zu erwecken. Für mich ist es wie mit einer Schatzkarte. Wenn man fest daran glaubt, dann findet man den Schatz.‹
Ja, die Farben waren wieder zum Vorschein gekommen,
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